Unterm Strich - Die Kulturwoche

Einer der strahlendsten Sterne der Theaterwelt leuchtet ab heute wieder: Das Moskauer Bolschoi wird nach sechsjähriger Totalsanierung mit einer Abendgala wiedereröffnet. 500 Millionen Euro hat Russland offiziell in sein Renommierhaus gesteckt, hinter den Kulissen ist sogar von einer Milliarde Euro Restaurationskosten die Rede.

Viereinhalb Kilo Blattgold hat man aufgetragen, jeden Quadratzentimeter Stuck neu aufgearbeitet. Jetzt muss das Bolschoi es nur noch schaffen, dass das Angebot auf der Bühne nicht ebenfalls an ein restauriertes Museum erinnert. Angesichts des konservativen Publikums kein leichter Job für den begnadeten Chefregisseur Dmitri Tscherniakov - immerhin ein ausgewiesener Theatermann des 21. Jahrhunderts. Ins 19. Jahrhundert zurück blickte am vergangenen Wochenende die Stadt Weimar. Sie ehrte zum 200. Geburtstag den großen Franz Liszt, der hier einst als großherzoglicher Kapellmeister lebte und wirkte. Da kam sogar der Bundespräsident vorbei, der den Komponisten und Frauenschwarm als "Pop-Phänomen seiner Zeit" charakterisierte. Ein Pop-Kunst-Phänomen der Gegenwart konnten hingegen Galeriebesucher im New Yorker Stadtteil Brooklyn besichtigen: Die Performance-Künstlerin Marni Kotak (36) brachte am Dienstag ihren Sohn in der Microscope Gallery vor Publikum zur Welt. Sie wolle zeigen, so die Künstlerin, "dass das wirkliche Leben die beste darstellende Kunst ist". Auf eine ganz andere Suche nach dem wirklichen Leben begibt sich das Festival "Politik im Freien Theater", das gestern in Dresden begann und bis zum 6. November 16 freie Produktionen aus ganz Europa zeigt. Gespielt wird auch an Orten wie Hauptbahnhof und Flughafen. Ganz aktuell ist das Rahmenprogramm: Es stellt beispielsweise Arbeiten von Künstlern aus der friedlichen Revolution in Tunesien aus. Und nochmal das Motto "Wirkliches Leben trifft Kunst", aber diesmal wieder ganz anders: In Dortmund findet ab morgen das Theater im Puff statt. Dass in beiden Institutionen manches vorgespielt wird, ist bekannt, aber Schauspielszenen und Lieder im Stundenhotel - das ist eher selten. Jeweils eine Künstlerin und bis zu acht Zuschauer sollen in den Zimmern des "Club Escort" zusammenkommen. Der normale Betrieb, versichert die Geschäftsführerin, mache so lange Pause. Da hat Olga Bezsmertna mehr Glück: Die Ukrainerin dürfte ab sofort nur noch in den allerersten Etablissements auftreten, denn sie hat mit ihrem außergewöhnlichen Sopran den Wettbewerb "Neue Stimmen" gewonnen. Wer da reüssiert, muss sich um seine Karriere normalerweise keine Sorgen mehr machen. An Karriere hat der Schriftsteller Friedrich Christian Delius wahrscheinlich nie gedacht, aber jenseits der 60 hat der einstige linke Provokateur - vielleicht widerwillig - so manchen Kultur-Olymp erklommen. Morgen kommt nun der Büchner-Preis hinzu - viel höher kann man in Literatur-Deutschland nicht klettern. Immerhin umfasst die Liste seiner Vorgänger die Herren Dürrenmatt, Böll, Kästner und Grass. Für manche Künstler gibt es einfach keinen Nachfolger. Zum Beispiel für Bill Wyman, der bis zu seinem Tod Bassist der Rolling Stones bleiben wird, auch wenn er schon vor zwei Jahrzehnten ausgestiegen ist. Der Stone in der Brandung, der Mann mit der Neigung zu jungen Damen und altem Whisky, macht seither ausschließlich Musik, die ihm Spaß macht. Und am Montag wurde er - doch, wirklich, Wikipedia hat\'s bestätigt - 75 Jahre alt. Dieter Lintz

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