Unterm Strich - Die Kulturwoche

Meinung Handkes fallende Blätter, Mozarts schwimmender Papageno und Jerons faulende Obst-Kunst Peter Handke - doch, der lebt noch - hat ein neues Stück geschrieben. Es heißt "Immer noch Sturm", was sich aber nicht auf serbische Balkan-Offensiven bezieht, sondern auf die Handke\'sche Familiengeschichte in Kärnten.

Fünf Stunden dauerte bei den Salzburger Festspielen der "ausufernde Theaterabend", wie es ein Kritiker formulierte, und genauso lange ließ Regisseur Dimiter Gotscheff Blätter zu Boden schweben. Das Publikum bejubelte Regie, Ensemble und Autor. Gejubelt wurde auch in Berlin, wo es seit vergangenem Wochenende "Seefestspiele" gibt - und zwar am Wannsee. Katharina Thalbach inszenierte, was man so spielt, wenn man Leute locken will: genau, die "Zauberflöte". Die Königin der Nacht schwebte 20 Meter über dem Wasser, Papageno kam per Schlauchboot, da freuten sich nicht nur insgesamt 30 000 Zuschauer, sondern auch Promi-Gäste wie Außenminister Westerwelle und Berlins Bürgermeister Wowereit. An großen Namen fehlte es auch nicht bei der Wiedereröffnung des Frankfurter Filmmuseums. Maximilian Schell, Hannelore Elsner, Til Schweiger erwiesen dem Mekka des deutschen Films ihre Reverenz, Schell hat dem Haus sogar seinen 1962er Oscar vermacht. Die erste große Schau ist Filmbildern des Fotografen Jim Rakete gewidmet. Ob in Frankfurt auch der "Trash-Film" seinen Platz findet, muss sich noch zeigen. Im Münsterland dagegen hat man ein Herz für Müll-Künstler. Zum Beispiel für den Elektronikmusiker Karl Heinz Jeron, der verrottendes Obst und Gemüse aus Supermarktabfällen als Musikinstrumente nutzt. Jeron, immerhin documenta-Teilnehmer, drückt Sonden in die verfaulenden Früchte und erzeugt durch die Fruchtsäure Geräusche. Das nächste Gammelobst-Konzert ist schon für Zürich gebucht. Während hierzulande die Freiheit der Kunst gottlob auch Müll erlaubt, wird andernorts fröhlich zensiert und drangsaliert. Im Iran will man das 800 Jahre alte, berühmteste Liebesepos der persischen Literatur zensieren, weil dort etwa geschildert wird, wie eine Frau und ein Mann Händchen halten. Solcherlei Pornografie ist seit Ayatollah Chomeini verboten. Im georgischen Tiflis wiederum ist der Intendant eines Theaters wegen Kritik an Präsident Saakaschwili entlassen worden. Prompt bot Russland, mit der georgischen Regierung heftig über Kreuz, dem Geschassten einen Regiejob in Moskau an. Aber auch in den USA können kritische Äußerungen böse Folgen haben. So wurde jetzt die Rockband Kiss von einem Michael-Jackson-Gedenk-Konzert ausgeladen. Kiss-Sänger Gene Simmons soll sich einst negativ über den mit Kindesmissbrauch in Verbindung gebrachten Jackson geäußert haben. Jacko-Fans hatten den Ausschluss von Kiss gefordert und andernfalls mit Randale gedroht. Auch wenn die Kleiderordnung bei Gothic-Festivals gewöhnlichen Sterblichen beängstigend düster erscheinen dürfte: Die Freunde der Darkness gelten als ausgesprochen friedlich und Randale-resistent. So war es auch am Wochenende in Hildesheim, wo 20 000 Edel-Grufties zum "M\'era Luna"-Festival kamen, um 40 Bands zu lauschen. Alles in Schwarz, natürlich. Dieter Lintz

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