unterm Strich - Die Kulturwoche

Meinung Schrumpfende Kulturbürger, ausgezehrte Museen, gepfändete Gemälde und billige Polaroids Wer wollte ihn nicht schon längst mal kennenlernen, den deutschen Kulturbürger, jenes unbekannte Wesen. Seit Anfang der Woche ist er enttarnt, dank einer Studie der "Stiftung für Zukunftsfragen".

Jawoll, sagt die Studie, der Deutsche liebt Kultur. 43 Prozent erfreuen sich an einem Kinoabend, 37 an einem Gemeindefest, 31 an einer Sportveranstaltung. Es folgen Musical, Rockkonzert und Jahrmarkt. Ach so, ehe es völlig vergessen wird: solch altbackene Angebote wie Oper (8 Prozent), Ballett (5) oder Klassikkonzert (12) gibt es ja auch noch, freilich mit ständig schrumpfendem Anteil. Nur die Museen bringen es unter den Klassikern mit 24 Prozent sogar auf Zuwächse. Fragt sich nur, wie lange noch. Denn der Rheinische Museumstag schlug am Montag in Köln Alarm. "Auszehrung und Substanzverlust" seien die dauerhafte Begleiterscheinung vieler Museen, hieß es. Ganze 1,9 Prozent ihrer Budgets gäben Länder und Gemeinden für Kultur aus, und beim Streichen schiele man stets zuerst auf die Museen. Deutschland schlittere in eine "bedrohliche Museumskrise". Da ist es wenig tröstlich, dass es anderen noch schlimmer geht. Das Land Tschechien räumt derzeit seine Leihgaben in ganz Europa ab, weil die Regierung Angst hat, die Kunstwerke könnten gepfändet werden. Eine Firma aus Liechtenstein ließ vor zwei Wochen Gemälde und Skulpturen in Österreich beschlagnahmen, um einen Schuldentitel gegen den tschechischen Staat zu vollstrecken. Prompt holten Prager Emissäre am Dienstag in der Bonner Liebermann-Ausstellung zwei Gemälde ab - so lange sie noch da waren. Sollten im Berliner Museum für Fotografie dieser Tage Exponate verschwinden, dann aus ganz anderen Gründen. Denn die dort ausgestellten Fotos sind billige Polaroids. Allerdings mit begehrten Motiven: Helmut Newton pflegte nämlich seine Aktmodelle vor der Ablichtung mit der Edelkamera probeweise auf Polaroid zu bannen. 300 dieser Bilder sind von heute an bis zum 20. November zu sehen. Ob es am pfiffigen Titel lag? Der "Schiller Thriller" von Regisseur Massimo Furlan erwies sich am Mittwoch bei der Uraufführung in Mannheim als Publikumsmagnet. Tanz- und Sprechtheater, Musik, Pantomime: Das bunt zusammengemixte Freiheitsplädoyer rund um Schillers Antrittsvorlesung an der Universität Jena im Jahr 1789 sorgte für Begeisterung. Im Fuldaer Schlosstheater zeigte sich derweil fast zeitgleich, dass auch zeitgenössischere Literatur die Massen anziehen kann: Die Musical-Version des Mittelalterbestsellers "Die Päpstin" wurde frenetisch gefeiert. Mitten im Publikum: eine hochzufriedene Roman-Autorin Donna W. Cross. Kreuz und quer geht\'s derzeit bei den großen Opernfestivals zu. Die Berliner Philharmoniker sprangen in Salzburg bei den Osterfestspielen ab und bei der Konkurrenz in Baden-Baden frisch hinein. Salzburg holte dafür nun die Dresdener Staatskapelle samt Dirigent Thielemann, der aber auch noch in Baden-Baden unter Vertrag steht. Dagegen ist das Transfer-Karussell in der Bundesliga Langeweile pur. Langweilig war er nie, ob als U-Boot-Kapitän, schwuler Sträfling oder russischer Rebell. Jürgen Prochnow ist einer der wenigen Deutschen, die den Titel Hollywood-Star wirklich verdient haben. Heute wird der Mann mit dem prägnanten Narbengesicht 70. Dieter Lintz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort