Unterm Strich - Die Kulturwoche

Um die Kultur in der Großregion ist es nach der Aufbruchstimmung des Kulturhauptstadtjahrs 2007 auffallend ruhig geworden. Nun scheint sich mit dem neuen saarländischen Kulturminister Stephan Toscani wieder mal ein Politiker für die Kulturarbeit zwischen Lothringen, Luxemburg, Ostbelgien und Trier zu interessieren.

Er will ein "Exportbüro Kultur" zur Vernetzung und Förderung von Kulturschaffenden gründen, die Kulturminister mal wieder an einen Tisch bringen und nächstes Jahr ein Gipfeltreffen der "jungen Kultur" auf die Beine stellen. Der Mann ist erst seit 100 Tagen im Amt, seine Frustrationsschwelle liegt offenbar noch deutlich höher als bei den üblichen EU-Bürokratiegeschädigten. Vielleicht wird ja doch was draus. Im fernen München geriert sich selbst die klassische Kulturform Oper ziemlich jugendlich. Puccinis Fernost-Drama "Turandot" kam vergangenen Samstag bei seiner Rückkehr nach 20 Jahren auf die Bühne der Staatsoper mit Manga-Ästhetik und 3D-Bildern daher. Neon-Reklame, Cheerleader auf Schlittschuhen: Regisseur Carlus Padrissa gibt dem Affen Zucker. Puristen monieren derweil, man habe mit dem ständigen kollektiven Geraschel beim Aufsetzen der 3D-Brillen die schönsten Arien versaut. Und das angesichts eines Dirigenten wie Zubin Mehta. Noch mal die renitente bayerische Hauptstadt: Am Mittwoch wurde bekannt, dass ausgerechnet der Regisseur der Oberammergauer Passionsspiele, Christian Stückl, am Münchner Volkstheater Rolf Hochhuths kirchenkritisches Papst-Drama "Der Stellvertreter" inszeniert. Erst die Himmelfahrt, dann der Sündenfall: Spätestens beim Jüngsten Gericht wird er erfahren, was schwerer wiegt. Für Bertolt Brecht wäre das wohl keine Frage gewesen. Seine Heimatstadt Augsburg hat entdeckt, dass man mit dem großen Sohn auch ein werbewirksames Event gestalten kann. Und so gibt es seit 2010 ein "Brecht-Festival", das bislang immerhin 20 000 Besucher anzog. Diese Woche wurde das Programm für die Auflage 2012 vorgestellt. Danach geben sich vom 2. bis 12. Februar prominente Künstler und Politiker die Klinke in die Hand. Weltstar Marianne Faithfull gestaltet "An evening in the Weimar Republic", Politgrößen wie Gregor Gysi, Claudia Roth und Michel Friedman debattieren über "Kunst und Politik". Ganz wortlos, aber keineswegs unpolitisch zeigt sich das Bonner "Haus der Geschichte": Von heute bis zum 15. April sind mehr als 600 "Zeichen. Sprache ohne Worte" zu sehen. Vom "AKW nein danke"-Button über symbolkräftige Kleidungsstücke bis zu Tattoos ist alles vertreten, womit man Meinungen, Ideen und Lebenseinstellungen dokumentieren kann - ohne Gerede. Die Rauminstallationen des schottischen Künstlers Martin Boyce sind zwar auch bildmächtig, können aber eine verbale Erläuterung ganz gut gebrauchen. Zum Beispiel die abstrakte Indoorlandschaft, für die er vergangenen Montag den "Turner-Preis" erhielt, der als wichtigste britische Auszeichnung für moderne Kunst gilt. Das sperrige Werk mit abgeschrägtem Mülleimer und Papierblättern an weißen Säulen heißt "Perforated and porous", zu deutsch: "Löchrig und porös". Letztere Zustandsbeschreibung trifft auch auf die letzten Jahre der Karriere von Ex-Oasis-Musiker Noel Gallagher zu. Außer dem Dauerknatsch mit Bruder Liam war wenig von dem Gitarristen zu hören. Bis vergangenen Sonntag: Da begeisterte er 4000 Fans im Kölner Palladium beim einzigen Deutschland-Konzert. Für die meiste Euphorie sorgten freilich die alten Oasis-Nummern. Dieter Lintz Diese und weitere TV-Kolumnen finden Sie auch im Internet auf www.volksfreund.de/kolumne

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