Unterm Strich - Die Kulturwoche

Wenn in Hamburg nackte Menschen tanzen, dann befindet man sich in der Regel in einem Etablissement auf der Reeperbahn. Es kann aber auch das Kulturzentrum Kampnagelfabrik sein.

Dort eröffnete der französische Star-Choreograph Olivier Dubois am Mittwoch das Internationale Sommerfestival mit der Deutschland-Premiere seines Stücks "Tragédie" - das von 18 gänzlich unbekleideten Tänzer(inn)en aufgeführt wird. Streng formalisierte Schrittfolgen wechseln mit ekstatischen Ausbrüchen ab. Ob\'s nun an der Ekstase lag, am Stechschritt oder an den Nackedeis: Das Publikum teilte sich am Ende in begeisterte Bravo-Rufer und heftige Buh-Protestler. Die nackte Angst herrschte bei vielen hochwassergeschädigten Kultureinrichtungen im deutschen Osten. Nun gibt es wieder Hoffnung: Aus dem Fluthilfepaket von Bund und Ländern werden kurzfristig 100 Millionen Euro für geschädigte Denkmäler und Kulturstätten bereitgestellt. So kann ein Unesco-Welterbe wie das Gartenreich Dessau-Wörlitz seine Existenz retten. Kultur und Wasserschaden: Das kann man auch ganz anders verstehen. Bei der "Zauberflöte" auf der Seebühne Bregenz gingen Sarastro, Pamina und die Königin der Nacht am Dienstag buchstäblich über Bord. Aufgrund eines technischen Defekts warf eine Barke, mit der die drei Sänger am Publikum vorbei über das Wasser fuhren, ihre komplette Besatzung in den Bodensee. Sicherheitstaucher brachten die unfreiwillig Badenden an Land, die Vorstellung wurde nach einer halben Stunde fortgesetzt. Sänger in Bregenz sind bekanntlich hart im Nehmen. Letzteres gilt, wenn auch eher unfreiwillig, für den Whistleblower Bradley Manning. Die Amerikaner wollen den Wikileaks-Informanten schließlich lebenslang in den Knast stecken. In Großbritannien wird er dagegen zum Helden eines Theaterstücks. Das renommierte Edinburgh-Festival hat "Die Radikalisierung des Bradley Manning" von Tim Price produziert, und zugleich gab es für den Autor den schottischen Dramatikerpreis. Das Stück schildert das Leben des US-Obergefreiten von seiner Kindheit in Wales bis zum Prozess in Washington. Gnädiger als die Amerikaner mit Manning ist Shakespeare mit dem Personal seines "Sommernachtstraums" umgegangen. Am Ende gibt es Gnade für alle. Der britische Regisseur Henry Mason hat die Komödie frech-fröhlich in die Gegenwart verlegt und damit im Salzburger Residenzhof für monumentale Begeisterung beim Festspielpublikum gesorgt. Wohl auch deshalb, weil er die coolen Typen und Bilder mit der klassischen Schauspiel-Musik von Mendelssohn Bartholdy untermalen lässt. Hippolyta trainiert Joga, Theseus ist ein vielgefragter Manager, die Handwerker kommen als Caterer, Floristen und Putzkräfte daher. Alles hip und blitzsauber gestylt. Gestylt ist Iggy Pop auch, aber blitzsauber war er nie. Der schräge "Pate des Punk" zelebrierte eher Selbstzerstörung auf der Bühne, sprang wild ins Publikum, schlug die Deko kurz und klein. Am Dienstag kam er zum einzigen Deutschlandkonzert nach Berlin, wo er in den 1970er Jahren in einer WG mit David Bowie gelebt hatte. 6000 Zuschauer sahen in der Zitadelle einen 66-jährigen Rentner aus Florida, der im Laufe des Abends alle Vorsätze, sich zu schonen, zertrümmerte. Das Erscheinen des "wilden Mannes Iggy Pop" und seiner "grandiosen Band The Stooges" habe einen "magnetischen Sog der Fans in Richtung Bühne ausgelöst", schwärmte der Tagesspiegel. Dieter Lintz Weitere TV-Kolumnen auf www.volksfreund.de/kolumne

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