Unterm Strich - Die Kulturwoche

In Klagenfurt haben gestern die Zeremonien des Ingeborg-Bachmann-Preises begonnen. Für Nicht-Literaturexperten: Das ist ein seit 1977 ausgetragenes Jungautoren-Casting, bei dem renommierte Kritiker den literarischen Nachwuchs drei Tage lang so kleinhäckseln, dass Dieter Bohlen dagegen wie der nette Onkel erscheint.

Im Gegenzug winkt Ruhm - immerhin siegte hier mal ein Uwe Tellkamp. Von vielen gepriesenen und preisgekrönten Autoren hörte man freilich später etwa so viel wie von manchem DSDS-Champ. Und nun droht dem Intellektuellen-Spektakel gar das Aus: 2014 will der Fernsehsender ORF, bislang Hauptfinanzier, einfach aussteigen. "Überall wo Großartigkeit herrscht, schleicht der Verfall", sagte schon der große Homer. Der kam nie bis Wuppertal, aber sein Spruch hätte auch dort Gültigkeit. Am Sonntag ging das dortige Schauspielhaus über die Wupper, das Gebäude wird zum Abriss freigegeben, das Ensemble zusammengeschrumpft und in eine ehemalige Lagerhalle umgesiedelt. Da half es auch nichts, dass einst schon Pina Bausch hier Stücke herausgebracht hatte. So wenig wie die lautstarken Proteste der Fans. Zum Glück gibt es aber auch noch visionäre neue Kulturprojekte. Zum Beispiel die Idee von 150 verrückten Niederländern aus Utrecht, mit einem umgebauten Frachtschiff über den Rhein zu tuckern und eine Wagner-Oper aufzuführen. Nein, nicht den "Fliegenden Holländer" - aber das "Rheingold" passt mindestens genauso gut. Am Dienstag war am Deutschen Eck zu Koblenz Premiere für Wotan & Co., heute legt der Kultur-Kutter in Duisburg an. Und wer nach dem Einzug in Walhall noch weiter Lust auf Kultur hat, braucht am Wochenende nicht weit zu laufen: Morgen werden im Ruhrpott 200 000 Besucher zur "Extraschicht" erwartet, dem Festival der jungen Kreativen in alten Zechen und Bergwerken. 50 Spielorte, 2000 Künstler, 26 eigens eingerichtete Busshuttle-Linien, eine Handy-App: Geht doch, möchte man sagen. Nur Ideen muss man halt haben. Um die war George Lucas nie verlegen. Nun bekommt der Star-Wars-Erfinder von Barack Obama die Medal of arts, gemeinsam mit Sängerin Renée Fleming, Jazzer Herb Alpert oder Autor Tony Kushner. Ein Hollywood-Filmemacher als Träger der bedeutendsten Auszeichnung der Hochkultur: Manchmal muss man die Amerikaner um ihre Unverkrampftheit schlichtweg beneiden. Beneidenswert sind auch alle diejenigen, die gestern das Vergnügen hatten, bei der Eröffnung des Festivals in Avignon dabei zu sein. Es gilt nicht umsonst als das schönste und stimmungsvollste Theatergipfeltreffen Europas. Hunderte von Produktionen, vom subventionierten Star-Schauspiel bis zum schrägen Amateur-Experiment, sind bis zum 26. Juli zu sehen. Und wenn nächste Woche ein anderer Autorenname unter dieser Kolumne steht, hat das auch mit Avignon zu tun. Dieter Lintz Weitere TV-Kolumnen auf www.volksfreund.de/kolumne

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort