Theaterpremiere Wird es in 100 Jahren wieder so ein Frühling sein?

Trier · Manfred Langners Revue „Ein Tanz auf dem Vulkan – Trier und die Zwanziger Jahre“ erlebt, vom Hausherrn inszeniert, ihre Uraufführung.

 Turbulentes Treiben einer widerspenstigen Theatergruppe: „Tanz auf dem Vulkan“.

Turbulentes Treiben einer widerspenstigen Theatergruppe: „Tanz auf dem Vulkan“.

Foto: martinkaufhold.de

In den Reigen der Metropolen, die im Film und auf der Bühne mit Glanz und Glitter gefeiert wurden und werden – San Francisco, New York, London, Paris, Berlin – hat es nun auch Trier geschafft. Dank dem Chef seines Stadttheaters, der seinem Publikum mit der Show ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk macht, das für glänzende Augen sorgt. Die titelgebenden Zwanziger Jahre beschränken sich dabei nicht auf die des vorigen, sondern auch des aktuellen Jahrhunderts, frei nach dem Schlager „Es wird in 100 Jahren wieder so ein Frühling sein“. Oder besser auch nicht.

Das Stück im Stück, eine Revue, soll am Silvesterabend 2020 uraufgeführt werden. Die Bühne (Beate Zoff) ist einem Nachtklub aus den „roaring twenties“, nachempfunden, mit rotierender Scheibe samt überdimensionaler Grammofonnadel und der obligaten Showtreppe. Darunter hat die Band ihren Platz: Horst (Maria Merz) Popocatépetl & seine Swinging Volcanos, die den zickigen Ragtimejazz ebenso draufhaben wie den spröden Weill-Sound und den kantigen „Arbeiterkomponisten“ Hanns Eisler.

Die Volcanos sind das klingende Gerüst der Revue, in deren Generalprobe der Kulturbeauftragte der Bundeskulturkammer der neuen Regierung hineinplatzt. Die frisch gekürten Machthaber haben die alte davongejagt, sorgen fortan für deutsches Kulturgut auf deutschen Bühnen. So mischt sich der Machtwächter immer dann in die Handlung ein, wenn ihm was nicht ins gleichgeschaltete Konzept passt. Klingt wie 1920ff., ist aber genau die Horrorvision, die Langner und sein Mitautor und Bandleader, der Pianist Horst Maria Merz, für 2020 auf den (Bühnen)Horizont malen, auf den Trierer Straßen und Landschaften mit reichlich „Weißt-du-noch?“-Potenzial projiziert werden.

Hier wird Weltgeschichte hinuntergebrochen auf Lokalhistorie, und einmal mehr wird deutlich: Nichts und niemand ist eine Insel. Wenn in der fernen Hauptstadt ein Wasserhahn aufgedreht wird, kriegt auch die Provinz nasse Füße. Politische Entscheidungen sickern durch das Land wie Feuchtigkeit durch einen Schwamm, wenn manche Teile auch erst spät oder gar noch später etwas davon mitbekommen. Trierer Besonderheiten wie französische Besatzungszeit, das Wählerverhalten sowie Wahlergebnisse in der Weimarer Republik im Allgemeinen und an der Mosel im Besonderen werden schlagwortartig abgehandelt und statistisch aufbereitet.

Im Vorgespräch äußerte Manfred Langner die Sorge, sein Stück könne ein wenig wie Schulfunk sein (TV vom 23. November). In der Tat ist es das bisweilen auch; nur trainierten Historikern erschließt sich Geschichte ohne erklärende Fußnoten. Doch die werden augenzwinkernd-ironisch gebrochen über Live-Einspielungen aus dem (erst noch zu erfindenden) Fernsehstudio, in dem eine blonde „Trudi Rakers“ (Bianca Spiegel) die neuesten Meldungen verkündet, die im Studio Trier von Häns Riewa (Paul Trappen) in für Eingeborene verständliches Trierisch übersetzt werden.

Das Ensemble tremoliert vor Spielfreude und Elan; sängerisch von stimmstark bis Vollröhre und tänzerisch vom Steppen bis zum Schieber bestens aufgestellt, jagen sie einen Ohrwurm nach dem anderen über die Bretter. Auf der Bühne ist niemand primus inter pares, da sind alle prima, und in der wertneutralen alphabetischen Reihenfolge sind das Angela Händel, Michael Hiller, Paul Hess, Klaus-Michael Nix, Anna Pircher, Gideon Rapp, Dimetrio-Giovanni Rupp, Bianca Spiegel, Norman Stehr, Stephanie Theiß und Barbara Ullmann, die mal sie selbst sind und mal in unterschiedliche Rollen schlüpfen. Über das Geschehen werfen ihre langen Schatten etwa Marlene Dietrich und Claire Waldoff; Hans Albers und die Comedian Harmonists sind dabei und als Gast von jenseits der Grenze Lucienne Boyer.

Musikalisch reicht der Bogen vom Kölner Karl Berbuer, der, des Rheinweins überdrüssig, „O Mosella“ besang, bis hin zu den Marx Brothers, aus deren erfolgreichstem Film „Skandal in der Oper“ die Tarantella „Così, cosa“ stammt. Und vom politischen Personal stampfen diverse Nazi-Schergen durchs Tableau: ein geifernder „Führer“ (Paul Hess), der aber offenbar nur das Double vom echten ist, um bei potenziellen Attentaten in der ersten Reihe zu stehen. Der echte nämlich ist, mit feiner Ironie besetzt, Norman Stehr, der stumm (und mit weißem Schnäuzer!) vor sich hinmümmelt. Zu den beiden gesellt sich ein rheinisch-grenzdebiler Hinkefuß Goebbels (Gideon Rapp). Okay, ein bisschen Klischee gehört halt auch dazu. Die Kostüme (100? 500? Miljunen?), in die und aus denen die Aktricen und Akteure in Windeseile hinein- und hinausschlüpfen, hat  Monica Seidl stilecht nachgenäht. Zwei rote Fäden weben sich durch den Stoff: Da ist zum einen der Luxemburger Louis Scheuer, der seine Schaffensjahre in Trier verbrachte und der Stadt als Autor von Revuen in den 20ern und 30ern manch musikalisches Denkmal setzte. Klaus-Michael Nix verleiht ihm eine kantig-traurige Gestalt, die am Schluss als einer von den ewigen Juden mit dem symbolträchtigen Koffer in der Hand die Stadt verlässt. Den anderen Faden hält der „Kulturbeauftragte“ Bernd (oder Björn, so genau weiß das schließlich niemand) Lechler in der Hand, dessen blauen Anzug im zweiten Teil ein unübersehbarer Vogelschiss auf dem Revers schmückt. Eine jovial-ungemütliche Aura umgibt Michael Hiller, hinter dessen mitunter kumpeliger Anbiederung das Grauen lauert. Immerhin lässt er, wenn’s sein muss, für eine Tanznummer auch mal die Hosen runter. Ganz so schlimm können die Jungs also doch nicht sein …

Übrigens: Die drei Buchstaben, unter denen die blau eingefärbten Braunen in Gestalt von „Bernd Lechler“ ihr Unwesen treiben, werden nicht ein einziges Mal erwähnt. Wenn sich also jetzt wer echauffiert, weil er sich angesprochen, gar bloßgestellt fühlt, zieht sich den Stiefel, der unübersehbar auf der Bühne steht, freiwillig an. Allein damit hätte dieser Abend schon seinen guten Zweck erfüllt. Der wegen der Nachfrage bereits zwei Mal mehr ins Programm aufgenommen wurde.

Die Zusatzvorstellungen sind am 6.  und 19. Januar, jeweils 19.30 Uhr. Karten gibt es online auf www.theater-trier.de, unter der Mailadresse theaterkasse@trier.de sowie unter Telefon 0651/718-1818.

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