Ute Lemper wird 60 Ziemlich nahe dran bei der Entstehung eines Stars

Trier · Von Münster in die Welt: Heute wird die Sängerin und Schauspielerin Ute Lemper 60 Jahre alt

 Ute Lemper.

Ute Lemper.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Sie betritt die Schauspielhaus-Kantine mit burschikosem Gang, bleibt in der Mitte des Raumes stehen und schaut sich suchend um. Ihr Blick fällt auf den Tisch, an dem dummerweise zwei Männer sitzen. Sie entscheidet sich nach kurzem Zögern für den richtigen Gesprächspartner. „Sie haben mich wahrscheinlich gar nicht erkannt“, sprudelt sie los. „Auf der Bühne seh‘ ich nämlich ganz anders aus.“

So begann an einem Januartag des Jahres 1987 mein erstes (und einziges) Treffen mit einer jungen Schauspielerin, die ich einen Monat zuvor, im Dezember, am Düsseldorfer Schauspielhaus als Sally Bowles in „Cabaret“, inszeniert von Jérôme Savary, erlebt hatte. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte sie zwar schon einiges an Bühnenerfahrung vorzuweisen, allerdings eher unter dem Radar der Kritiker und der Öffentlichkeit. In Wien hatte sie an „Cats“ mitgewirkt, in Stuttgart auf der Bühne gestanden, in Berlin erste Schritte auf die Bretter gewagt. Und dann kam Savary mit seinem Angebot, die Sally Bowles in einer französischen Fassung am Pariser „Théâtre Mogador“ zu spielen.

Das war dann auch ihre erste große Rolle an einem deutschen Theater. Die nur mittelmäßig talentierte Kabarettsängerin Sally Bowles, die im Berlin der 1930er Jahre den Aufstieg der Nazis mit eigenen Augen erlebt, sollte für Ute Lemper, bei unserem Gespräch 22 Jahre alt, der Türöffner zu einer internationalen Karriere werden, die sie bis nach New York führte. „Ute Lemper in der Rolle der flatterhaften Nachtclub-Sängerin ist Kuschelweibchen und ordinäre Diseuse zugleich und verfügt über eine Stimme, die zwischen metallischer Schärfe und warmem Timbre stets den rechten Ton trifft“, war damals in der Besprechung zu lesen. „Darüber hinaus gelingt es ihr mühelos, mit dem leichtgeschürzten Mädchen-Ballett mitzuhalten. Da kann man in Deutschland, dieser Musical-Diaspora, geradezu ins Jubeln geraten.“

Lemper konnte damals all das, was auch einer Broadway-Schauspielerin abverlangt wurde: Singen, Tanzen, Sprechen – und das oft alles gleichzeitig. Kein Wunder, dass die Kritik sie seit ihrer Sally Bowles als deutsches Musical-Wunder in den Himmel lobte. Und dann, als sie Deutschland den Rücken kehrte, von denselben Kritikern wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen wurde. Wie damals Romy Schneider, bei der auch alle beleidigt waren, weil ihr Österreich und Deutschland zu eng geworden waren und sie in Frankreich zum Weltstar wurde.

Davon war damals bei Lemper in der Kantine des Düsseldorfer Schauspielhauses natürlich noch nichts zu spüren; sie plauderte frisch und frei und fröhlich über Dinge, bei denen sich den PR-Agenten- und Agentinnen, hätte es sie damals schon in ihrer Nähe gegeben, wohl die Nackenhaare gesträubt hätten. Eine der harmloseren Anekdoten aus ihrem jungen Leben sorgte dann auch für die Überschrift über dem Artikel, der dazu führte, dass Ute Lemper mich einen Tag nach der Veröffentlichung in der Welt-Redaktion anrief und sich bitter beschwerte: „Autogramm zwischen den Bratwürsten“ lautete die Schlagzeile. Sie hatte nämlich erzählt: „Einmal bin ich sogar im Aldi um ein Autogramm gebeten worden, als ich meine Bratwürste gekauft hab. Das war mir peinlich.“ „Hätten Sie nicht was anderes nehmen können?“, fragte sie mich empört. Das sei doch eigentlich ganz witzig und mache (hoffentlich) neugierig auf den Artikel, hatte ich ihr erklärt. Dann würde man ihn auch lesen, um zu sehen, was es mit den Bratwürsten auf sich habe. Ute Lemper war nicht überzeugt.

Und noch etwas hatte sie erzählt: dass ein paar Tage zuvor ein Reporter vom „Stern“ sie interviewt hatte – eine Information, die sämtliche Alarmglocken zum Schrillen brachte. Deshalb hatte ich meinem Chef in den Ohren gelegen, das Porträt so schnell wie möglich zu veröffentlichen, was der natürlich für absolut überflüssig hielt („wer kennt die denn schon?“) und dem Übereifer eines jungen Kollegen zuschrieb. Heute weiß ich natürlich nicht mehr, ob ich ihn überzeugen konnte oder das Glück mir in Gestalt eines nicht gelieferten und fest eingeplanten Aufmachers entgegenkam: Mein Porträt von Ute Lemper wurde jedenfalls am Mittwoch, 21. Januar 1987, in der Welt veröffentlicht.

Einen Tag später, am Donnerstag, erschien der Stern – mit Lemper auf dem Titelbild. Und der Schlagzeile „Die Minelli aus Münster“. Ich wurde ins Büro des Chefs zitiert, der mir fröhlich grinsend verkündete: „Wir haben sie abgekocht!“

Ein Wiedersehen mit Ute Lemper gab es dann erst im Jahr 2003 – in Trier. Hermann Lewen war es gelungen, die damals schon weltweit gefragte Sängerin zu einem Konzertabend für die Moselfestwochen in die Kaiserthermen zu holen. „But One Day“ hieß das Programm, das sie am 21. Juli präsentierte. Die Reihen waren bis auf den letzten Platz besetzt, und das Publikum hielt aus bis zum letzten Song – obwohl es den ganzen Abend lang in Strömen regnete.

Pünktlich zum 60. Geburtstag am 4. Juli hat Ute Lemper ihre zweite Autobiografie unter dem Titel „Die Zeitreisende – Zwischen gestern und morgen“ veröffentlicht und zitiert dabei umfänglich aus ihrer ersten, in der sie ihren nicht immer einfachen Karrierestart beschrieben hat, während sie sich in der aktuellen „altersweise“ kritisch mit ihrem Leben auseinandersetzt und all jenen, die eine wichtige Rolle darin gespielt haben. (Gräfe und Unzer, 336 Seiten, 26 Euro.)