Venedig kann sehr tödlich sein

VENEDIG. Morgen beginnt im TV ein neuer Fortsetzungsroman. Im Mittelpunkt steht Venedigs derzeit berühmtester Ermittler: Commissario Brunetti. Seine Schöpferin ist die Amerikanerin Donna Leon.

Ist man ein Workaholic, wenn man jedes Jahr einen neuen Roman vorlegt - oder einfach nur fasziniert von seinen Figuren und der Umgebung, in der sie sich bewegen? Vermutlich von allem etwas trifft auf Donna Leon zu. 1992 erschien Commissario Brunettis erster Fall, "Venezianisches Finale"; im Juni taucht der agile Polizist in "Verschwiegene Kanäle" ab, um Licht in die zwölfte Mordgeschichte zu bringen. Der elfte Fall ist ab morgen als Fortsetzungsroman im Trierischen Volksfreund zu lesen: "Die dunkle Stunde der Serenissama"."Die Durchlauchtigste" oder auch "die Heiterste" - so nannte sich die Republik Venedig im 15. Jahrhundert. Ein Ruf, der der Stadt im Wasser bis heute nachhängt - und dem ganz offensichtlich auch Donna Leon nicht widerstehen konnte.Denn seit 1981 lebt die 1942 in Montclair, New Jersey, geborene Autorin in der Lagunenstadt, wo sie als Literaturdozentin an der Außenstelle der Universität Maryland auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Vicenza arbeitet.Eine Europäerin aus der Neuen Welt

Die Amerikanerin, die sich lieber als New Yorkerin (also praktisch Europäerin aus der Neuen Welt) sieht, war zuvor als Reiseleiterin, Werbetexterin und Lehrerin in Europa, Afrika und Asien unterwegs. Warum sie sich in Europa niedergelassen hat, begründete sie vor Jahren in einem Interview: "Die Europäer tragen angenehme Kleidung, essen tolle Speisen und stellen in ihren Häusern schöne Möbel und überhaupt schöne Dinge auf. Das Gegenteil dazu sind die Amerikaner; die sorgen sich um ihre Figur und fast ausschließlich darum, viel Geld zu haben." Was vielleicht cum grano salis zu nehmen ist, denn Figurprobleme und Streben nach Geld sind nicht unbedingt ausschließlich amerikanische Phänomene oder Charaktereigenschaften.Wohl aber der "geistlose Patriotismus", der mit den Bush-Kriegern neue Nahrung fand und der den Italienern, vielleicht dank Berlusconi, vollkommen abgeht. So sehr alle Italiener ihre Stadt, ihren Lebensstil und ihre Kultur lieben, so sehr schimpfen sie auf Rom und die Regierung. Niemals habe sie während all der Jahre, die sie nun schon in Italien verbracht hat, jemanden "etwas Gutes über Italiens Hauptstadt sagen hören", behauptet die vehemente Bush-Gegnerin Leon. Allerdings muss man sagen, dass sie grundsätzlich misstrauisch gegenüber Politikern ist, egal, welcher Partei sie zuzurechnen sind. Sich selbst bezeichnete sie einmal als "amerikanische Demokratin mit einem gesunden Misstrauen gegenüber dem Kapitalismus und einem gesunden Misstrauen gegenüber den Alternativen zum Kapitalismus".Bevor sie die Arbeit an einem neuen Brunetti-Roman beginnt, recherchiert Donna Leon auf den Straßen Venedigs. "Ich spreche die Leute an und höre ihnen zu. Das ist eine phantastische Art und Weise, an speziell venezianische Informationen heranzukommen. Insbesondere in Italien ist das wichtig, denn man kann weder der Regierung noch den Zeitungen, Zeitschriften, dem Radio oder dem Fernsehen glauben", berichtet Leon aus ihrer Wahlheimat, deren elektronische Medien zum größten Teil Berlusconi-geschädigt sind.Die destruktivste Erfindung des Jahrhunderts

Obwohl die Amerikanerin nach eigenen Aussagen weder Filme noch Fernsehen mag - letzteres ist für sie "die destruktivste Erfindung des 20. Jahrhunderts" -, hat sie dennoch der Verfilmung einiger ihrer "Brunetti"-Romane zugestimmt. Seither ist mit dem Commissario ein Gesicht verbunden: der Schauspieler Joachim Król (obwohl der die Rolle nach dem vierten Film an Uwe Kokisch abgegeben hat). Er wirkt zwar ebensowenig italienisch wie seine Filmpartnerin Barbara Auer, die die adligen Kreisen entstammende Signora Paola Brunetti spielt, jedoch haben sie den Figuren - zumindest im deutschsprachigen Raum, wo sich auch die Brunetti-Romane am besten verkaufen - ihren Stempel aufgedrückt.In ihrer Wahlheimat dagegen sind Donna Leons Werke so gut wie unbekannt. Angeblich hat Leon die Übersetzung ins Italienische verboten. Befürchtet sie, dass die Italiener und besonders die Venezianer mit ihrer Schilderung italienischer Verhältnisse nicht einverstanden sind? Nein, sagt sie, sie wolle nur nicht eine Berühmtheit in ihrem Wohnviertel Cannareggio sein und weiterhin vom Briefträger und der Gemüsefrau geduzt werden. Übrigens: Was Donna Leon nach eigenen Aussagen ebenfalls nicht leiden kann, ist Massentourismus. Dennoch lebt sie in Venedig. Sie muss diese Stadt sehr lieben.

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