"Veränderung heißt auch Chance - wenn man nicht alles aufgibt"

Wie geht es weiter mit dem Theater Trier in Zeiten klammer öffentlicher Kassen? Die Diskussion läuft. Der TV hat zehn Gastautoren gebeten, ihre Ideen und Vorschläge zur Zukunft des Hauses zu notieren. Heute: Sven Grützmacher.

 Sven Grützmacher. Foto: Theater

Sven Grützmacher. Foto: Theater

Seit Monaten wird um das Theater in der überschuldeten Stadt Trier gestritten, diskutiert, bewertet und taktiert, auch protestiert. Überschuldung heißt: alles auf den Prüfstand stellen und neu bewerten. Genau das kennzeichnet aber auch die Theaterarbeit und macht sie besonders. Allerdings gekoppelt mit dem Wissen, dass es einen Punkt gibt, an dem eine Zukunft verspielt wird, wenn man zu viel der eigenen Kultur und Würde preisgibt.
Dem Großteil der Beteiligten, den Bürgern, dem Stadtrat und auch den Mitarbeitern, ist bewusst, dass eine strukturelle Veränderung des Theaterbetriebes dringend erforderlich ist. Entscheidend bei diesem Prozess sind das WIE und das WANN. Mit der Veröffentlichung der Szenarien sollte der Weg für eine gemeinsame konstruktive Gestaltung neuer Strukturen möglich sein. Weil unsere Gesellschaft sich wandelt und sich das Theater mit seinen Aufgaben und Funktionen innerhalb der Gesellschaft stets neu erfinden muss, sehe ich darin auch eine Chance. Unabhängig davon, ob eine der Sparten des Theaters geschlossen wird - der Erhalt mit einem eigenständigen Spielbetrieb hat Signalwirkung für die Menschen der Region. Umgekehrt signalisiert die Veränderungsbereitschaft aller Beteiligten auch Verantwortlichkeit gegenüber allen gesellschaftlichen Schichten.
Herrn Haselbachs Gedankenmodell einer Schließung der Hälfte aller Kultureinrichtungen berücksichtigt nicht die regional demografischen und geografischen Verschiedenheiten. In einer Metropole mit 20 Theatern wäre die Schließung eines Hauses sicher ein Verlust, aber kein Kahlschlag. Eine radikale Schließung des Theaters in einer Region wie Trier wäre dagegen ein irreversibler Schaden.
Das Theater Trier hat in den letzten Jahren unter Zuspitzung der finanziellen Situation gekämpft, um das qualitative Niveau der Produktionen zu halten. Wir sind in Schulen und Seniorenheime gegangen, waren auf Gastspiel im In- und Ausland, fanden dort hohe Wertschätzung.
Mit einer veränderten Ensemblestruktur sowie der längerfristigen finanziellen Absicherung auf derzeitigem Niveau wird das Theater weiter für die Menschen in unserer Region spielen können, ohne in Mittelmaß abzugleiten - als Ort mit unterhaltender, aber auch ästhetisch-künstlerischer Funktion. Das ist kein Gegensatz, sondern eine notwendige Verbindung. Kunst ermöglicht eine andere Sicht auf das Leben, und solange jedem Bürger die Möglichkeit geboten wird, sich diese Sichtweisen zu erschließen, ist Theater nicht elitär.
Das Theater braucht mehr Flexibilität. Kein Theaterbetrieb ist in der Lage, innerhalb der bestehenden Amtsstrukturen schnell und zielorientiert zu handeln. Vor allem, wenn es über das operative Tagesgeschäft hinausgeht. Beispiel: Sommer-Projekte in Zusammenarbeit mit Artisten oder einer Artistenschule, eine Art Trierer Cirque du Soleil. Das wäre ein Angebot für Bürger der Region, aber auch für die Tourismusbranche. Wer so etwas will, muss schnelle Handlungs- und vor allem Entscheidungsmöglichkeiten schaffen.
Noch eine Idee: In der Großregion läge es nahe, auf politischer Ebene über eine Kofinanzierung zwischen Land, Stadt und Luxemburg zu verhandeln, um so eine Sparte aus dem direkten Theaterbetrieb ausgliedern zu können. Diese Sparte würde dann eigenständig produzieren und planen, könnte Luxemburg, das Theater Trier und die gesamte Großregion bespielen.
Auf Perspektiven zu verzichten, alles zu räumen: Das wäre eine Kapitulation. Je eher die Grundsatzentscheidung fällt - will die Stadt ihr Theater mit einem eigenständigen Spielbetrieb erhalten? - umso früher kann über eine konzeptionelle Neuausrichtung des Spielplans oder verstärkte Kooperationen mit anderen kulturellen Einrichtungen in der Stadt oder Kommunen beraten oder verhandelt werden.
Es wäre fatal, wenn eine fortwährende, nicht immer sachliche Diskussion einzelne Gruppen gegeneinander ausspielt. Signalisiert werden sollte: Krisenmanagement bedeutet nicht das Aussitzen der Probleme, sondern die Fähigkeit zu handeln und zu entscheiden. Und das mit langem Atem, wie bei den Erbauern von Parkanlagen in früheren Generationen. Sie hinterließen etwas Wertvolles, dessen Vollendung sie selbst nie erleben konnten.
Nächste Autorin: Prof. Dr. Franziska Schößler, Uni TrierExtra

Sven Grützmacher, in Berlin ausgebildet, war erster Solotänzer am Saarbrücker Staatstheater. Er kam nach seinem Wechsel zur Choreographie 2005 mit der Ära Weber als Ballettdirektor nach Trier und schaffte dort das Kunststück, das Publikum für zeitgemäßes Tanztheater zu begeistern. Auch seine Opern- und Musical-Regiearbeiten ("West Side Story", "Jud Süß", "Evita", "Die Kluge") werden sehr geschätzt. Die Trie rer Tanzsparte hat auch international und in der Großregion einen guten Namen. DiL

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