Versteinerte Bonzen und renitente Regisseure

Dass man bei Ausstellungen über das kulturelle Erbe der Antike heutzutage weniger totes Material zeigt und mehr auf eine zeitgemäße, lebendige Präsentation setzt, ist ein allseits bekannter Trend - wie auch die "Im Reich der Schatten"-Schau des Trierer Landesmuseums zeigt. Im italienischen Pompeji geht man jetzt noch einen Schritt weiter: Dort wurde dieser Tage in einem eigens restaurierten Haus eine Multimedia-Ausstellung eröffnet, die es dem Besucher ermöglicht, den Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 nach Christus quasi am eigenen Leib nachzuvollziehen - wie die seinerzeitigen zwölf Hausbewohner, die in den Aschebergen starben und als Versteinerungen in den 1970er Jahren ausgegraben wurden.



Versteinerungstendenzen gibt es auch in der ungarischen Kulturszene, seit die rechtskonservative Regierung im Mai das Land übernommen hat. Mit dem Dirigenten Adam Fischer hat diese Woche einer der weltweit bekanntesten Künstler des Landes den Bettel hingeworfen: Der Generalmusikdirektor der Budapester Staatsoper und Bayreuther "Ring"-Held kündigte seinen Job - nachdem die neue Regierung alle wichtigen Funktionen des Hauses mit Parteigängern besetzt und der zum Intendanten beförderte Staatskommissar Fischers Premieren abgesetzt hatte.

Das kennt man aus altkommunistischen Tagen. Und die beschwört auch der Altmeister des Spionage-Romans, John le Carré, in seinem neuen Buch herauf, das ab heute verkauft wird. "Verräter wie wir" erzählt von der russischen Gefahr, die nicht mehr von finsteren Agenten ausgeht, sondern von milliardenschweren Oligarchen, die die von Raffgier zerfressenen westlichen Demokratien mit ihrem schmutzigen Geld Stück für Stück aufkaufen. Drumherum konstruiert der 79-Jährige eine seiner bewährten Geschichten um Liebe, Verrat und Betrug.

Auch andere alte Herren bleiben sich treu: Der französische Filmregisseur Jean-Luc Godard, ebenfalls 79, bekommt zwar am 13 November den Ehren-Oscar in Hollywood. Aber der ewige Rebell und einstige Miterfinder der "Nouvelle Vague" hat den hohen Herren von der Akademie am Montag mitgeteilt, er gedenke der Verleihungszeremonie fernzubleiben. Die Trophäe werde ihm dann halt zugeschickt, konterte Akademiechef Tom Sherak.

Ein solches Podium hätte sich Bryan Ferry sicher nicht entgehen lassen. Der englische Pop-Dandy zelebriert sich seit seinen Tagen als Frontman der 70er-Jahre-Kultband "Roxy Music" auf allen Bühnen der Welt - und erfindet sich alle paar Jahre wieder neu. Mal als Dylan-Interpret, mal als Entertainer, mal als Avantgardist. Am Dienstagabend stellte er in einer Londoner Galerie sein neues Album "Olympia" vor. Und heimste begeisterte Kritiken für ein "triumphales Alterswerk" ein. Wer ihn mit Roxy Music live sehen will, muss im Januar auf die Insel reisen - für Deutschland sind einstweilen keine Tour-Daten annonciert.

Wer dagegen ein Werk von Joseph Stein erleben will, braucht nur in ein Theater seiner Umgebung zu fahren. Wie, den kennt man nicht? Indirekt schon. Denn Stein schrieb gemeinsam mit dem Komponisten Jerry Bock mit "Anatevka" eines der erfolgreichsten Musicals der Welt. Im Alter von 98 Jahren ist er diese Woche in New York gestorben. Dieter Lintz

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