Verstrickt zwischen Kulturen

TRIER/LUXEMBURG. Schweden - Afrika: Auch der neueste Roman des schwedischen Erfolgsautors Henning Mankell balanciert auf dieser Achse zwischen den Kulturen. Die Handlungsmotive sind ebenfalls bekannt: erdrückende Moralvorstellungen und persönliche Leidensgeschichten.

Janin ist Hans‘ erste Leidenschaft, sie stillt die sexuellen Sehnsüchte des jungen, unangepassten Mannes. Doch Hans Olofson verrät die durch einen Operationsfehler entstellte Frau. Als die Schwangere sich umbringt, zerbricht Hans daran: Er bricht sein Studium an Schwedens Elite-Universität in Uppsala ab und geht nach Afrika. Es zieht ihn zur Missionsstation Mutshatsha in Zambia - dorthin, wovon Janine immer geträumt hatte. Doch Hans gerät in die Fänge politischer Aktivisten: "Das Auge des Leoparden" ist eine afrikanische Aufstandsbewegung, die die weißen "Herren" vertreiben und gleichzeitig die schwarze korrupte Regierung schlagen will. Mit blauäugigen Reform-Utopien übernimmt Hans eine Hühnerfarm, doch nur weniges gelingt ihm im Laufe der Jahre. Die Allmacht des Aberglaubens, die Ohnmacht des Rechts, das unüberwindliche Misstrauen und die Korruption, die sich Unwissenheit nutzbar macht und Willkür herrschen lässt, bringt Hans Olofson schließlich in Lebensgefahr. Denn Hans hat zwei Menschen getötet: Den sambischen Journalisten Motombwani, der sein Leben für die Entfesselung eines Aufstandes seines Volkes einsetzte, muss Hans erschießen, weil er sonst von ihm umgebracht worden wäre. Einen schwedischen Entwicklungshelfer bringt Hans um, weil dieser zwei junge Mädchen, die Hans ihm anvertraut hatte, zu Pornoaufnahmen missbrauchte. Nach zwanzig langen Jahren der Angst verkauft Hans seine Hühnerfarm, um nach Schweden zurückzukehren. Für den Ankauf interessiert sich ein schwarzer Polizeioffizier, dem Hans im Laufe der Jahre so viel Bestechungsgeld zugesteckt hat, dass der Polizist um Hans' Lebenswerk mitbieten kann. Den Zuschlag erhält jedoch ein indischer Kaufmann, der die Überschüsse der Farm gegen hohes Schmiergeld für Hans auf ein Konto in London überwiesen hatte - alles an den Gesetzen vorbei, immer mit dem treuherzigen Augenaufschlag des "guten Weißen", ohne den alles zusammen brechen würde. Doch Henning Mankell bringt in diesem randvollen Buch nicht nur eine verwicklungsreiche Kriminalgeschichte unter, sondern auch noch die dramatische, einflussreiche Entwicklungsgeschichte von Hans. In langen Rückblicken erfährt der Leser, dass Hans bei seinem einzelgängerischen, trinkfesten Vater aufgewachsen ist, nachdem die Mutter die Familie verlassen hat. Der nach Orientierung suchende Hans ist ein suchender Junge, der unangepasst und doch scheu vor dem Urteil der anderen heran wächst. Seinen Plan, "Verteidiger der mildernden Umstände” zu werden, muss er aufgeben, das "Recht" kann und will er nicht lernen. Henning Mankell ist ein weiterer völkerumspannender Roman mit einer dichten "inneren" Geschichte sowie einem großen Bogen Völkergeschichte gelungen. Mankell selbst lebt abwechselnd in Schweden und in Mosambik. In Maputo leitet er ein afrikanisches Theater. "Das Auge des Leoparden" ist ein Roman über die unlösbaren Probleme zwischen Weißen und Schwarzen auf dem schwarzen Kontinent. Mankell schreibt diesen handlungsreichen Roman mit seinen bekannten literarischen Mitteln - zu ökonomisch für große ästhetische Ansprüche, aber dicht und inhaltsstark. In tollen, kurzatmigen Dialogen zwischen Hans und seinem Vater oder mit Motombwane bricht der Dramatiker Mankell deutlich durch. Wer Zauber in diesem Roman erwartet, wird von der entzauberten Sprache enttäuscht. Wer Spannung vermutet, kommt jedoch auf seine Kosten. Und wem der täglichen Kampf ums Anständigbleiben nicht zu moralisch ist, der kann in "Das Auge des Leoparden" blicken und erfahren, dass dieser Kampf sich täglich lohnt - und täglich neu verloren wird. Henning Mankell: Das Auge des Leoparden. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. Zsolnay, Wien, 379 Seiten, 21,50 Euro

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