Viel mehr als ein Graffiti-Sprayer

Trier · Wiedersehen an der Mosel: Zum zweiten Mal ist Harald Naegeli für ein Projekt zur Kunst im öffentlichen Raum nach Trier gekommen. Die verdienstvolle, sehr interessante Schau in der Europäischen Kunstakademie legt die Grundlagen von Naegelis Spraykunst offen.

 Auch in der Europäischen Kunstakademie schafft Harald Naegeli Spraykunst. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Auch in der Europäischen Kunstakademie schafft Harald Naegeli Spraykunst. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Trier. Sein Anliegen ist die heilsame Verstörung, sein Mittel die öffentliche Verunsicherung. Die schafft er durch seine an Mauern und Wände gesprühten geheimnisvollen Graffiti, die sein Markenzeichen geworden sind. Als "Sprayer von Zürich" ist Harald Naegeli berühmt geworden.
Auch wenn der Sohn eines Psychiaters und einer Künstlerin noch mit über 70 Jahren seine schnellen Zeichen an Parkhauswände und Mauern aller Art sprayt, greift die künstlerische Einordnung als Sprayer doch viel zu kurz. Lange bevor der inzwischen in Düsseldorf lebende Künstler 1979 zum Bürgerschreck wurde, war die "Urfigur der Freiheit und Bewegung", wie ihn sein Freund Joseph Beuys nannte, ein gestandener Maler und Grafiker, der den Dadaisten und ihrer in Zürich entstandenen Bewegung nahestand.
An der Züricher Kunstgewerbeschule und der École des Beaux Arts in Paris war er ausgebildet worden, zudem hatte er Musik studiert. In der Spraydose fand er lediglich ein weiteres hochpolitisches Medium. "Meine Graffiti sind der Ertrag aus der jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Zeichnung", bestätigt Naegeli.
Die ausgesprochen erhellende Ausstellung in der Europäischen Kunstakademie steht im Zusammenhang mit einem Seminar des Kunsthistorischen Instituts der Uni Trier, das sich der Kunst im öffentlichen Raum widmet. Die Schau führt Naegelis Werk auf seine Grundlagen zurück und macht sichtbar, wie darin alles mit allem zusammenhängt. Als Maler, Zeichner und Radierer präsentiert sie den Künstler, aber auch als Philosophen, der in seinen Arbeiten über die Bedeutung der Bewegung für Raum und Zeit nachdenkt.
Moderner Romantiker


Harald Naegeli ist genauso wie Beuys im Grunde ein moderner Romantiker, der Mensch und Natur versöhnen und ihre Selbstentfremdung überwinden will. Die Natur ist ihm ganz nah, was nicht zuletzt seine Witz und Weisheit ausstrahlenden Tierzeichnungen belegen.
Die Bewegung ist es hingegen, die in Naegelis Werk Zeit schafft. Als Punkte, die zu Linien vorangetrieben werden, bleibt die Bewegung Grundelement und -bedingung seiner Zeichnungen. Und auch seine Aquarelle sind kaum mehr als schwingende Linien, die von der Farbe zum Klingen gebracht werden. Naegeli versteht sich großartig darauf, die Linie poetisch auszudeuten, so wie in seinen fast altmeisterlichen "Kleinen Landschaften". Eigentlich bestehen die feinen Tuschzeichnungen nur aus einer leicht bewegten waagrechten Linie am unteren Bildrand, deren Rhythmus kurze senkrechte Striche wie Taktstriche bestimmen. Über dem niedrigen Horizont dehnt sich der leere Bildraum wie ein weiter Himmel aus, in dem - um es mit Joseph von Eichendorff zu sagen - die Seele weit ihre Flügel ausspannen kann.
Dagegen sind Naegelis "Große Landschaften" ein augenscheinlich chaotisches, nicht zu entwirrendes Gespinst aus feinsten Punkten und Linien. Für sein wichtigstes Projekt hält der Künstler die Werkgruppe seiner "Urwolke". Dort wird Naegeli zum zeichnenden Mystiker. In den zarten Arbeiten, die in Trier wie im Düsseldorfer Atelier auf einander gegenüber gestellten Staffeleien liegen, verdichten sich und zerstäuben als eine Art zeichnerischer Urstaub, Elementarteilchen, aus deren Anarchie neue Bewegung entsteht. Naegelis "Urwolke" ist eine endlose Meditation über das All, über Zeit und Ewigkeit und - um es mit den Romantikern zu sagen - über die Weltseele. er
Die Ausstellung in der Kunstakademie ist noch bis 12. Februar zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr, www.eka-trier.de

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