Viele Erfolge und ein paar verlorene Jahre

TRIER. Zum Gedenken an Friedrich Schillers 200. Todestag will auch das Trierer Theater seinen Beitrag lei-sten - mit einem eigens dafür konzipierten "Schiller-Projekt".

Eine markante Erscheinung. Graues, wallendes Haar, buschige Augenbrauen, Vollbart. Misstrauischer, taxierender Blick. Grantelnde Stimme. Erster Eindruck: kein einfacher Gesprächspartner. Müde von der Probe vielleicht, bei der gerade, krankheitshalber, eine Umbesetzung nötig war. Die Zeit läuft davon, der Druck steigt. Am Samstag ist Premiere, und ausdiskutiert ist immer noch nicht, wie das Ende nun aussehen soll. Zudem erweckt der Mann nicht den Eindruck, als ob er sich willig fotografieren ließe.So weit westlich hat er noch nicht gearbeitet

Aber dann tut er es doch, kommt sogar den Bitten des Fotografen nach, mit Säbel und Pistole zu posieren. Das macht er ganz profihaft, denn schließlich war er selbst mal Schauspieler - "wenn auch nur für kurze Zeit", wie er einräumt. Und - der erste Eindruck hat getäuscht - er erweist sich als äußerst auskunftsfreudig. Aus zwanzig geplanten Gesprächsminuten werden fast hundertzwanzig. Der Mann heißt Horst Ruprecht und ist neu in Trier. So weit westlich hat er bislang noch nicht gearbeitet. Den größten Teil seiner Karriere hat der 1941 in Teplice, ehemals Tschechoslowakei, gebürtige Theatermann in der Ex-DDR verbracht. Er war eine Hausnummer im Kunstbetrieb des real existierenden Sozialismus, die, hätte sie nicht soviele Ecken und Kanten gehabt und auf die Widerworte gegen die Herrschenden verzichtet, wahrscheinlich in den oberen einstelligen Bereich hätte rutschen können. Dennoch konnte sich Ruprecht nie über mangelnden Publikumszuspruch beklagen. Er sorgte mit seinen Horváth- und Grabbe-Inszenierungen für Aufsehen am Nationaltheater Weimar, als Oberspielleiter in Nordhausen und Meiningen, wo er eine "durch die ganze DDR herumgereichte" Inszenierung von Grabbes "Napoleon oder Die hundert Tage" einrichtete. Außerdem war er Schauspielchef in Magdeburg und Halle, "der nach Berlin in den 70er Jahren wichtigsten Bühne, die sich als das ,sozialistische Nationaltheater‘ der DDR fühlte". Nicht immer passten seine Inszenierungen "ins gesamtsozialistische Konzept der DDR". Obwohl, schränkt er ein, "diese Restriktionen gibt‘s ja überall". Dennoch brachte auch er eines Tages das Fass zum Überlaufen mit der Inszenierung eines Gegenwartsstücks, "Jutta oder die Kinder von Damutz" (das 1995 in einer "Polizeiruf"-Folge mit Katrin Saß fürs Fernsehen bearbeitet wurde). Das Drama über eine junge Frau im Ostzipfel der DDR, die von einem Parteimitglied geschwängert, sitzen gelassen und zur Kindsmörderin wird, war ein "Gesellschafts-panorama von grenzenloser Tri-stesse". Die Presse empörte sich, das Publikum war schockiert, das Stück wurde nur drei Mal gespielt - und Ruprecht entlassen. Damit begann die "existenzbedrohende Phase seines Lebens", wie er in der Rückschau bilanziert. Die endete erst, als er "ein paar verlorene Jahre später", in denen er Dozent an diversen Film- und Schauspielschulen in Potsdam, Berlin und Leipzig war, als Schauspielchef in Magdeburg installiert wurde. Zwar kamen in seiner theaterlosen Zeit Einladungen von großen Häusern aus dem Westen - Jürgen Flimm etwa wollte ihn nach Köln holen -, doch dem in Ungnade Gefallenen wurde natürlich die Ausreise verweigert. Die DDR verlassen durfte er erstmals in ihrem Todesjahr, im Frühjahr 1989, als er einem Angebot aus Salzburg folgen konnte. Erinnert er sich noch an die Emotionen, die er beim Mauerfall empfand? "Den konnte ich gar nicht richtig genießen, weil ich am 10. November nach Wien fliegen musste." Erst später, als der Rausch vorüber war, bekam er die Unsicherheit, Verzagtheit und Zukunftsangst vieler Kollegen zu spüren, "die tatsächlich den Anschluss verpasst haben" und, einmal aus der staatlich garantierten Fest-anstellung entlassen, Schiffbruch erlitten. Ruprecht dagegen hatte Glück. Nach der Gastinszenierung am Wiener Volkstheater in die Nicht-mehr-DDR zurückgekommen, wurde ihm die Schauspieldirektion in Leipzig angeboten, die er jedoch nach zwei Jahren gegen eine - jetzt wirklich rundum - freie Tätigkeit eintauschte. Aus diesen ersten Wanderjahren datieren die Kontakte zum Trierer Intendanten Gerhard Weber. Zweimal hat Ruprecht für ihn in Hannover gearbeitet, und die Idee zu einem Schillerprojekt wurde bereits dort geboren. So fügt es sich nun, dass der in Niedersachen konzipierte Theaterabend in Rheinland-Pfalz das Rampenlicht erblickt.Schiller-Helden als Zeitgenossen

Bei diesem "Schiller-Projekt" hat Ruprecht zusammen mit den Trierer Dramaturgen Peter Oppermann und Sylvia Martin drei Werke des Dichters - "Räuber", "Jungfrau von Orléans" und "Fiesco" - auf jene Handlungsstränge konzentriert und verdichtet, die die jeweiligen Helden als Aufbegehrende gegen die herrschenden Strukturen zeigen. Ihre - mitunter fragwürdigen Ideale - versuchen sie selbst um den Preis des eigenen Lebens durchzusetzen und müssen - natürlich? - scheitern. Um den Zuschauern den Zugang zu dem komplexen Werk zu erleichtern, wird Chefdramaturg Peter Oppermann jeweils eine halbe Stunde vor jeder Vorstellung eine kurze Einführung in den Abend geben. Premiere ist am Sonntag, 23. Januar, um 19.30 Uhr; Karten: 0651/718-1818.

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