Viktoria Tolstoys musikalischer Liebesbrief an Herbie Hancock

Trier · Sie sieht fantastisch aus, trägt den Namen ihres Ururgroßvaters, des großen russischen Schriftstellers Leo Tolstoi, doch ihre Liebe gilt nicht der Literatur, sondern der Musik: Die schwedische Sängerin Viktoria Tolstoy huldigt auf ihrem neuen (fünften) Album einem ihrer großen Idole: ,,Letters to Herbie" ist eine Hommage an Herbie Hancock.

 Hat den Jazz in der Seele: die Schwedin Viktoria Tolstoy. Foto: ACT/Jörg Grosse-Geldermann

Hat den Jazz in der Seele: die Schwedin Viktoria Tolstoy. Foto: ACT/Jörg Grosse-Geldermann

Wie der inzwischen 71 Jahre alte US-amerikanische Komponist und Pianist hat sich auch Viktoria der Fusion von Jazz, Rock, Pop und Funk verschrieben. Die 37-jährige Schwedin interpretiert die Songs mit dem ihr eigenen Hauch skandinavischer Melancholie (beziehungsweise ,,russischer Seele", wie ihr Vorgänger-Album von 2008 hieß) mit ihrer glasklaren Stimme.

Bei der Auswahl der insgesamt dreizehn Songs (Gesamtspielzeit 57 Minuten) - zumeist von Hancock, aber auch drei aus der Feder John Coltranes und Jaco Pastorius' sowie Tolstoys Titelsong für Herbie Hancock - hat die Schwedin "einfach auf ihr Herz gehört". Auf die ganz großen, bereits sehr häufig gecoverten Hits wie "Cantaloupe Island" oder "Watermelon Man" verzichtete Viktoria bewusst.

Der Schwerpunkt ihres Albums liegt auf Hancocks einflussreichster Phase: seinem Funk-Repertoire der 80er Jahre mit Titeln wie "I Thought It Was You" (3) oder "Give It All Your Heart" (7). Mitreißend, aber einfühlsam interpretiert sie auch Hancocks Klassiker "Butterfly" (5), Coltranes "Naima" (12) sowie verständlicherweise den eigenen Liebesbrief und Titelsong (8).

Höhepunkt des Albums ist für mich unbestritten der äußerst funkige Bonus-Track, Jaco Pastorius' "Come On, Come Over" (13). Als Anspieltipp zu nennen auch Hancocks Ballade "Chan's Song" (4). Tolstoys variationsreiche glasklare Stimme drückt allen Songs ihren Stempel auf.

Unterstützt wird sie von einem exzellenten Musikerteam: allen voran Nils Landgren, der das Album nicht nur produziert hat, sondern auch die Posaune spielt und bei "Give It All Your Heart" (7) auch für Viktoria den Gesangspartner abgibt. Mit Meister Hancock an Piano, Keyboard und Fender Rhodes misst sich Jacob Karlzon, der vor allem bei "I Thought It Was You" (3) mit Soli und Klangreichtum glänzt. Die groovende Rhythmusgruppe bilden Bassist Mattias Svensson und Schlagzeuger Rasmus Kihlberg. Die Gitarrensaiten bearbeitet - George Benson lässt grüßen - Krister Jonsson. Für Bläserarrangements und -parts ist Magnus Lindgren zuständig, der auch zusammen mit Tolstoy und Landgren den Titelsong geschrieben hat.

Sozusagen die Vorgeschichte der Entstehung von "Letters to Herbie" gibt Viktoria Tolstoy folgendermaßen zum Besten: "Ich habe Herbie Hancock beim Jazz Baltica Festival 2004 in Salzau getroffen. Er hat mich nach dem Konzert gemeinsam mit seiner Band zum Abendessen eingeladen, zusammen mit Wayne Shorter. Das war fantastisch, beide gehören zu meinen großen Vorbildern. Wir haben stundenlang zusammen geredet, gegessen und gelacht. Vielleicht kam mir da der Gedanke: Irgendwann mache ich mal ein Album, das ich Herbie widme."

Das ist also jetzt geschehen: erneut ein tolles Album von Viktoria Tolstoy, das sie weiterhin in die erste Reihe der internationalen Jazzsängerinnen einreiht. Jörg Lehn

Viktoria Tolstoy: Letters to Herbie, Act Music + Vision, ACT 9519-2, München 2011.

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