Vinyl der Woche: Ramones – Ramones Achtung, Ohrwurm-Überschrift: Hey Ho, let’s go!

Serie · Lust auf eine Zeitreise? Ziel: Ein schäbiger Club im London des Jahres 1974. Und zur Geburtsstunde der Ramones, deren Sänger Joey Ramone am Mittwoch 70 geworden wäre.

 Ramones von Ramones

Ramones von Ramones

Foto: TV/Band

Kommen Sie mit, liebe Leser! Die aktuelle Zeit ist dafür gemacht, ihr zu entfliehen. Oder? Sag ich doch. Also – ab nach New York. August 1974. Ein Club der hält, was die zugekritzelte Eingangstür verspricht. Ein Raum, der Glück hat, dass in ihm derart exzessiv geraucht wird. Denn der Qualm überdeckt vieles, was wohl die meisten als „nicht-tageslicht-tauglich“ beschreiben würden. Wie die heruntergekommenen Wände. Oder die – ein grässliches Wort – versifften Toiletten. Oder die fremden, langhaarigen, blassen Kerle, die durch ihr abgestandenes Bier und ihre Zigaretten – beides zusammen für 1,50 Dollar – das schaurige Flair dieses, nennen wir es Etablissements, definieren.

Dieses bekannte Oh-mein-Gott-wo-sind-wir-hier-gelandet-Gefühl steigt in uns auf. Wir schauen uns an. Wieder gehen? Hier ist doch kaum was los, das kann kein guter Club sein. Ein Bier, kommen Sie schon. Höflichkeit und so. Wenigstens spielt hier Live-Musik. Ra-was? Ich versteh’ nix, die spielen zu laut. Diese Lederjacken-Jungs. Ach egal. Brauchste dir nicht merken, den Namen. Ist ja nicht so, als würde hier heute eine Weltband geboren.

Dass wir uns den Namen nicht merken brauchen, liegt nicht daran, dass diese Band nicht erfolgreich sein wird. Nein, wir kommen auch fast 50 Jahre später nicht an ihr vorbei. Weil Jugendliche noch 2021 mit T-Shirts herumlaufen, auf denen Ramones steht. Und wir sind dabei, als im August 1974 Legenden zum ersten Mal als Quartett auftreten, die damals alles andere als legendär aussehen. Vor allem einer. Der Schlacks, dessen knapp zwei Meter aus dem Rauch ragen wie der Burj Khalifa aus den Wolken. Der Lulatsch heißt bürgerlich Jeffry Ross Hyman, wird bekannt als Joey Ramone und wäre am Mittwoch 70 Jahre alt geworden. Aber eins nach dem anderen.

Zurück zum Club. Was ist das für eine Kaschemme, in der wir uns hier befinden? CBGB steht für „Country, BlueGrass, Blues and Other Music For Uplifting Gormandizers“. Gorman-was? Einmal Übersetzungsservice, bitte! Gormandizers sind Gourmets. Schleckermäuler. Nennen Sie sie, wie Sie wollen.

Aus diesem eigenwilligen Laden starten die Ramones ihre Weltkarriere. Zwei Jahre später veröffentlichen sie ihr erstes Studioalbum Ramones. Wobei Studioalbum in diesem Fall der falsche Begriff ist. Denn die vier Rocker legen Wert darauf, dass ihre Songs original klingen. Keine Perfektion. Kein Rumgetrickse. Einfach Rock, so schmutzig wie der Club ihres ersten Auftritts. Heraus kommt ein Album, das einen der eingängigsten Songs der Musikgeschichte beinhaltet. Hey Ho, let’s go! Hey Ho, let’s go! – Sie sind schon dabei, oder? Diesen Ohrwurm können Sie nur schwer davon abhalten, Ihren Gehörgang entlangzukriechen. Stemmen Sie sich nicht dagegen. Lassen Sie es zu. Lassen Sie Blitzkrieg Bop zum Song Ihres Tages werden – Joey zu Ehren!

Der Joey, der in einem Interview ein Geheimnis lüftet, das so gar nicht in die punkige Vita der Ramones passt. Hey Ho, let’s go! ist inspiriert durch die Bay City Rollers. Kennen Sie nicht? Glück gehabt. Sagen wir so: Stellen Sie sich Take That und One Direction vor, nur Mitte der 70er, mit schlabberigen Hosen. Eine Boyband wie sie im Buche steht. Die allerdings in ihrem Song Saturday Night einen unverkennbaren Ausruf haben: S-A-T-U-R-D-A-Y, Night! So etwas möchte Joey Ramone auch. Er bekommt es. Noch heute werden Sie kaum ein Rockkonzert (hach, Rockkonzerte ... Nostalgie in Corona-Zeiten) besuchen können, auf dem nicht die Wörter Hey Ho, let’s go! das Shirt eines Besuchers zieren.

Seit 20 Jahren ist Joey Ramone tot. 2001 verlässt er diese Welt. Nicht rockstar-like. Mit 49. Krebs. Die Lymphdrüse. In Erinnerung bleibt er nicht, weil er der genialste Musiker war. Keine engelsgleiche Stimme. Solides Gitarrenspiel. Selten mehr als drei Akkorde. Nie besser als Chart-Platz 40.  Authentizität. Man selbst sein. Das ist es, was die Ramones uns lehren.

Übrigens, die Straßenecke des CBGB heißt heute „Joey Ramone Place“. Und damit zurück ins Jahr 2021, Freunde.

In der Kolumne „Vinyl der Woche“ stellt der Trierische Volksfreund wöchentlich eine Schallplatte vor – von Neuerscheinungen, über besondere Alben bis hin zu Klassikern. Alle Serienteile finden Sie hier.

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