Vinyl der Woche: Wind Of Change - Scorpions Dieser Text handelt nicht vom Mauerfall
Serie · Eine Kolumne über Wind of Change von den Scorpions kann ja nur den Mauerfall thematisieren. Falsch. Denn es gibt noch eine andere, viel spannendere Geschichte zum Song.
Doc McGhee sieht nicht aus wie der klassische Schwerverbrecher. Vor allem nicht 1988. Schulterlanges Haar, das jedoch erst hinter seiner hohen Stirn beginnt. Etwas dicklicher, Oma würde sagen „Pausbäckchen“. Doch der Mann der an einen Sitcom-Darsteller im Mittagsprogramm von ProSieben erinnert, hat eine Straftat begangen, die für einen sonntäglichen Tatort wohl etwas zu groß wäre: McGhee hat einen Schmugglerring – der Verbindungen zum panamesischen Diktator hat – dabei unterstützt, bis zu 20 Tonnen Marihuana in die Vereinigten Staaten zu bringen. Mögliches Strafmaß: 20 Jahre. 140 000 US-Dollar. Er gesteht, der Hammer fällt, der Grundstein für Wind Of Change von den Scorpions – der heute vor 30 Jahren auf Platz eins der deutschen Charts stieg – ist gelegt.
Denn McGhee ist nicht so unauffällig wie er aussieht – abgesehen von seiner kriminellen Ader. Er ist Experte darin, immer irgendwie an Kontakte und Geld zu kommen. Nach seinem Wehrdienst arbeitet er mal hier, mal da. Lernt diese und jene Leute kennen. Unter anderem einen Anwalt, der ihm den Tipp seines Lebens gibt.
McGhee soll sich Mötley Crue ansehen. Er nimmt die aufstrebende Band unter Vertrag. Es folgen Bands wie Skid Row – und Bon Jovi. Zurück zur Gerichtsverhandlung. Sie fragen sich sicher, welche Strafe McGhee ereilt, oder? Nun, Bon Jovi schreiben einen Brief an die Staatsanwaltschaft. McGhee habe eine schlimme Straftat begangen, klar. Sie betonen aber auch, dass „ein Mann mit seinem Wissen über die Musikindustrie und seiner Hingabe soviel Gutes im öffentlichen Leben tun kann“. Das Gericht lässt sich tatsächlich auf einen Deal ein: McGhee muss „nur“ 15 000 Dollar zahlen und eine Anti-Drogen-Kampagne organisieren.
Sorry, liebe Leser ... ich bin gerade wirklich lange abgeschweift. Sie freuen sich auf die Scorpions, ich verstehe das. Aber ich finde diese Geschichte so viel spannender als in einer 08/15-Art-und-Weise immer und immer wieder zu betonen, wie die Scorpions die Wende geprägt haben. Okay, versprochen – hier kommt die Verbindung zwischen Drogenschmuggel für Panama und einer der größten deutschen Bands.
Als Teil der Kampagne organisiert McGhee exakt 20 Jahre nach Woodstock das Moscow Music Peace Festival in der Sowjetunion. Er wird später behaupten, er habe sowieso geplant gehabt, das Festival zu veranstalten. Mit der Verurteilung habe das nichts zu tun. Naja, die Sache mit dem Zufall.
Beim russischen Woodstock (nur ohne Kiffen) mit dabei unter anderem: Bon Jovi, Mötley Crue, Ozzy Osbourne ... und die Scorpions. Als Sänger Klaus Meine und seine Bandkollegen im Lenin-Stadion auftreten, packt sie die Stimmung der Sowjets. Der Kalte Krieg gehe zu Ende, Musik sei das Verbindende zwischen den Völkern, erklärt Meine. Er schreibt einen Song über ein Lyrisches Ich, das in einer Sommernacht an der Moskwa, einem Fluss in Russland, entlanggeht. „I follow the moskwa ...“ – Sie kennen die Zeile. Der Song wird zur Hymne der Erneuerung in der Sowjetunion, Staatschef Michail Gorbatschow empfängt die Band im Kreml.
Klar, die Scorpions werden auch zu der Band, die den Mauerfall musikalisch wohl am meisten prägen. Aber darauf gehe ich heute nicht ein. Das haben wir schon zu oft gelesen. Und ehrlich gesagt möchte ich einem verurteilten Drogenschmuggler mit hoher Stirn und Pausbäckchen nicht die große Anerkennung zuteil werden lassen, dass er daran mitgewirkt habe. Christian Thome