Vinyl der Woche: Pearl – Janis Joplin Janis Joplin wäre 80 geworden: Ihrer Zeit voraus

Ihre Mobber machten Janis Joplin zu dem, was sie hassten. Die Drogen machten sie kaputt. Sie war eine der Besten – und wäre jetzt 80 geworden.

 Janis Joplin wäre am Freitag 80 Jahre alt geworden.

Janis Joplin wäre am Freitag 80 Jahre alt geworden.

Foto: dpa

Sie war ein ganz normales Mädchen. Geboren im Texas der 40er-Jahres, älteste Tochter des Mitarbeiters einer Ölfirma und einer Büroangestellten, die einst selbst Sängerin werden wollte. Sie las, schrieb Gedichte, sang immer wieder im Kirchenchor.

Nicht vieles deutete darauf hin, dass mehr Menschen als die Kirchgänger in Port Arthur die Stimme von Janis Joplin hören sollten. Es gab ja immerhin viele wie sie. Und überhaupt, als Frau in diesen Jahren der USA erfolgreich zu werden ... schwierig.

Da half es auch nicht, dass die junge Janis in der Schule gemobbt wurde. Sie war übergewichtig, litt an Akne. So schlimm, dass diese Narben ein Leben lang blieben. „Freak“ oder „Niggerliebhaber“ wurde sie genannt. Eine schreckliche Zeit. Sie verließ ihre Heimat direkt nach dem High-School-Abschluss – mit zarten 18 Jahren. Sie ging nach Kalifornien. Der Rest ist Geschichte. Janis Joplin, die am Donnerstag 80 Jahre alt geworden wäre, wurde zu einer Ikone.

Dass Janis Joplin für Größeres geboren war als den Kirchenchor, sieht man noch heute bei Livemitschnitten ihrer Auftritte. So zum Beispiel bei dem vom 12. April 1969, Joplins einzigem Konzert in Deutschland – damals mit ihrer Kozmic Blues Band. Sie wirkte etwas unsicher, vielleicht gar unbeholfen (fairnesshalber: nicht auszuschließen, dass Drogen im Spiel waren), als sie vor Konzertbeginn mit den Fans sprach. Doch in dem Moment, als die Musik beginnt, stand da plötzlich ein anderer Mensch. Sie wirkte wie in Trance, ganz und gar in ihrer Musik versunken. Als täte sie gerade das, wofür sie geboren wurde.

Janis und die Drogen: Eine tödliche Beziehung

Zur Wahrheit gehört aber auch: Nicht nur die Akne aus Kindheitstagen hinterließ Spuren bei der 1,65-Meter kleinen Frau. Unvergessen ihr Auftritt auf bei Woodstock. Janis Joplin war betrunken, wirkte verbraucht. Ihre Stimme machte nicht mit. Ein derart schlechter Auftritt, dass ihre Plattenfirma verbot, ihn in der Dokumentation zu zeigen. Im gleichen Jahr wurde sie festgenommen, weil sie einen Polizisten beleidigt habe. Das Gericht sprach sie frei, es sei freie Meinungsäußerung gewesen. Ein anderes Mal wurde sie zu 200 Dollar Geldstrafe verurteilt, weil sie auf der Bühne geflucht habe. Im gleichen Jahr überlebte sie nur knapp eine Überdosis Heroin, die sie sich gespritzt hatte. Im Januar 1970 löste sie die Kozmic Blues Band auf. Sie plante einen Urlaub, um von den Drogen wegzukommen. Ziel: Der Karneval in Rio de Janeiro. So, als würde man sich einen Ferrari kaufen, nachdem man wegen zu schnellen Fahrens den Lappen abgeben musste.

Janis Joplins Leben war ein Kampf. Musik gegen Drogen. Und doch koexistierten diese beiden Seiten. 1970 schien es für einen kurzen Moment so, als würde die Musik triumphieren. Joplin gründete die Full Tilt Boogie Band, mit der sie musikalisch erstklassig harmonierte. Zwischen September und Oktober wurden in Hollywood die Songs für ihr zweites Studioalbum Pearl. Sie zeigte, was sie konnte. Und das war mehr, als alle anderen. Der Tonumfang ihrer Stimme soll etwas mehr als drei Oktaven umfasst haben. Immer mit dabei: Produzent Paul Rothchild. Er war einer der ersten Verantwortlichen, der ein gutes Verhältnis zur Ausnahmesängerin hatte. Es schien, als würde alles funktionieren.

Doch auch immer mit dabei: das Heroin. Zwar soll Janis Joplin „nur noch“ gelegentlich gespritzt haben, doch am 4. Oktober 1970 gewannen die Drogen. Joplin spritzte sich Heroin, das einen ungewöhnlich hohen Reinheitsgrad hatte. Etwas, das sie nicht ahnen konnte. Sie war nicht die einzige Kundin des Dealers, die in jener Woche starb. Aber die berühmteste. Sie folgte Jimi Hendrix in den „Club 27“.

Durch neue Methoden Paul Rothchilds konnte das Album jedoch fertiggestellt werden. Es wurde zu einem der besten Alben, die jemals eine Frau aufgenommen hat. Me and Bobby McGee gehört noch heute zum besten, was die Musik jemals hervorgebracht hat.

Man kann nur erahnen, welchen Einfluss Janis Joplin gehabt hätte, wäre sie einige Jahrzehnte später geboren worden. Denn, so sagte es auch Soulsängerin Michelle David: „Sie war ihrer Zeit voraus.“

Es dauerte etwas, bis sie die Anerkennung erhielt, die sie verdient. Ihr war es egal, ob jemandem gefiel, was sie tat. Keine Zurückhaltung, im Guten wie im Schlechten. Auch mal Verletzlichkeit zeigen, kein Problem. Lange sträubten sich Sängerinnen davor, sie als Vorbild zu nennen. Heute scheint das normal. Fragen Sie mal bei Pink nach, die ihrem Idol den Song Unwind widmete.

Ein letzter (kleiner) Auftritt

Um den Typus Janis Joplin zu beschreiben, hilft eine Anekdote. Bei ihrem letzten Besuch in ihrer alten Heimat Port Arthur, wenige Wochen vor ihrem Tod, besuchte Joplin ein High-School-Klassentreffen. Traf diejenigen, die sie einst gemobbt hatten. Vielleicht erwarteten diese das gleiche schüchterne Mädchen, das sie gehänselt hatten. Sie bekamen: Eine stolze Frau mit übergroßer Sonnenbrille und rosa Federboas. Umringt von Reportern und Paparazzi. Sie wurde interviewt. Bei diesen Sätzen wurde ihr Blick schelmisch:

„Ich war nicht beim Abschlussball.“

„Aber Sie wurden gefragt?“

„Nein, wurde ich nicht. Ich glaube, sie wollten mich da nicht. Ich habe darunter gelitten. Genug, um mit Blues anzufangen.“

So, als würde sie sagen wollen: Seht her, ihr Mobber. Das ist, was ihr aus mir gemacht habt. Einen Star. Und das, was ihr selbst hasst: Anders.