Vinyl der Woche: 72 Seasons – Metallica Achtung, Verschwendung!

Serie · Metallica hat das beste Album des Jahres veröffentlicht. Das steht für unseren Autor jetzt schon fest, weil nur sie es schaffen, dass er eine besondere Emotion spürt.

Metallica: Neues Album "72 Seasons" ist bestes des Jahres
Foto: dpa/-

Ich wollte es eigentlich nicht mehr tun. Hatte abgeschworen, in dieser Kolumne noch Neuerscheinungen zu thematisieren. Klar, die erscheinen mittlerweile auch wieder auf Vinyl, aber irgendwie ist es doch was anderes. Die hatten ja gar keine Zeit, leicht verwellt und verbraucht auszusehen. Riechen auch zu neu, es ist nicht das gleiche Gefühl. Aber wenn ich 52 Kolumnen im Jahr (jaaa, ich weiß, ab und an fehlt mal eine, sagen wir 48) schreibe, dachte ich, dann kann ich mir eine Neuerscheinung pro Jahr gönnen. Im vergangenen Jahr war das, wer erinnert sich, Stromae mit seiner Platte Multitude. Die erschien auch Anfang des Jahres, bis Dezember kam jedoch niemand ran. Album des Jahres, klare Sache. Wieso ich das schreibe? Weil es erstens noch immer ein Brett ist, diese Stromae-Nummer. Und weil wir, zweitens, einen Nachfolger gefunden haben.

Eigentlich müsste ich nichts über Metallicas neues Album 72 Seasons schreiben. Wenn eine solche Platte rauskommt, gibt jeder seinen – teilweise sehr guten – Senf dazu. Musikjournalisten, die den Job in großen Teilen schon viel länger machen als ich. Und teilweise auch besser, da bin ich nicht zu stolz, das zuzugeben. Vor allem einer: Joachim Hentschel von der Süddeutschen Zeitung. Ich zitiere ihn zum neuen Album: „Oralverkehr? Saufen? Schächten? Oder wie man früher sagte: Heavy Metal. Metallica aber sind die Psychotherapeuten. Und die neue Platte ist ein Hochamt für sensible Kuttenträger.“ – hätte ich nicht schöner schreiben können.

Naja, so einfach komme ich aus der Nummer aber nicht raus. Wenn ich 72 Seasons schon im April zum Album des Jahres küre, dann muss ich das auch begründen. Ich will gar nicht zu sehr ins musikalische Detail gehen (hört sich alles sehr nach Metallica an, nur besser als in den vergangenen Alben). Stattdessen: Besonders Hersteller von Musikanlagen sollten sich bei James Hetfield und Co. bedanken. Denn niemand funktioniert so sehr nur laut, wie Metallica.

Das war schon immer so. Meine Musikgeschichte begann als Knirps mit dem Album S&M. Das erste Mal hörte ich einen Song auf einer Dolby-Sorround-Anlage. Die ersten Zupfer von Nothing Else Matters, unterstützt vom Einsetzen des Streichorchesters. Ich war der Meinung: Das geht doch nicht besser! Natürlich ging es das, ich wäre ein Lügner, würde ich S&M auch nur irgendwo zwischen den besten Alben der Geschichte einreihen. Aber: Dieser Effekt, er funktionierte nur laut.

Wie auch 72 Seasons. Schande über mein Haupt, aber ich habe das Album zuerst über einen Streamingdienst gehört. Im Auto. Ganz unsexy. Es fing an, recht leise. Ich höre im Auto nicht mehr so laut Musik – ist nur selten ein so guter Song dabei, dass es gerechtfertigt wäre. Etwa 30 Sekunden rum, der Finger wandert zum ersten Mal ans Radio. Lauter. 30 Sekunden später das gleiche Spiel. Und noch mal, bis zum Anschlag. Beim letzten Griff habe ich das Radio dann ausgeschaltet. Entschieden, dass ich dieses Album beim ersten Mal nicht nebenher hören sollte. Das wäre Verschwendung. Daran sollten auch Sie sich halten, liebe Leser.

Zu Hause schaltete ich die Anlage an, wie damals bei S&M – und genoss. Spürte: Seit Jahren hatte ich dieses Gefühl bei einem neuen Album nicht mehr. Unwahrscheinlich, dass ich das dieses Jahr noch einmal erleben werde. Also: Schon allein wegen der Emotionen habe ich mein Album des Jahres gefunden.

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