Vinyl der Woche: China In Your Hand – T’Pau Die Porzeallanservice-Lüge
Serie · Zwischen Star Trek und Frankenstein: T’Pau waren gut darin, sich bei anderen zu bedienen. Und bei der Entstehungsgeschichte ihres besten Songs vielleicht etwas dazuzumogeln.
Fußballspieler kennen es: Man legt sich auf eine Marke fest. Trägt die Adidas-Treter, weil sie einem entweder mal Glück gebracht haben oder es einfach nie etwas zu beanstanden gab. Loyalität, geboren aus Dankbarkeit. Etwas, das auch Carol Decker leben sollte. Zumindest, wenn man Fußballschuhe gegen Jeans und Adidas gegen die Marke Pepe tauscht. Denn ohne die wäre Decker und ihre Band T’Pau vielleicht nie erfolgreich geworden.
Als Carol Decker und ihr Partner 1986 T’Pau (der Bandname stammt übrigens von einem Charakter aus Star Trek) gründen, zögern sie nicht lange. Bereits 1987 erscheint die erste Single Heart and Soul. In der Heimat, Großbritannien, floppt der Song jedoch. Zunächst. Denn irgendwie wird Pepe Jeans auf den Song aufmerksam und packt ihn in einem Werbespot. Das Filmchen ist eine recht undurchsichtige Aneinanderreihung von Dingen (die einen springen auf Pogo-Sticks, die anderen laufen durchs Weltall). Aber: Der Sound bleibt bei vielen hängen. T’Pau wird bekannt, Heart and Soul springt aus dem Nichts auf Platz vier der Charts in den USA und Großbritannien.
Wenig später veröffentlichen T’Pau eine weitere Single. China In Your Hand. Carol Decker sieht damals eine Dokumentation über Mary Shelley, die Autorin von Frankenstein. Sie ist fasziniert davon, wie Shelley mit nur 19 Jahren andere, gestandene Autoren übertreffen konnte. Gleichzeitig erkennt sie jedoch, dass der Erfolg zu Unstimmigkeiten und Eifersucht in ihrer Ehe führte. Mary Shelley habe dadurch ihr eigenes Monster geschaffen, findet Decker.
Sie projiziert diese Geschehnisse auf ihr eigenes Leben. Zugegeben, ich zweifele selten an den Geschichten, die ein Musiker selbst über den Song erzählt. Aber manchmal erscheinen sie etwas konstruiert – wie diese hier.
Nach Angaben von Carol Decker habe die Mutter von Ronnie Rogers ihr einst ein chinesisches Teeservice aus Porzellan geschenkt. Wenn man die Tassen gegen das Licht gehalten habe, habe man das Gesicht einer Frau sehen können. Die Tassen seien papierdünn und zerbrechlich gewesen, wenn man sie in der Hand hielt. So weit, so gut. Viele Menschen haben einmal Porzellan geschenkt bekommen (und gelogen, dass es gefällt).
Aber: Dass Carol Decker dann zufällig wieder an Mary Shelley denkt, ihr dann ein Zitat aus Frankenstein („Don‘t push too hard, your dreams are china in your hand“) erinnert und das perfekt auf das zufälligerweise aus China stammende Porzellanservice in ihrer Hand, das zerbrechlich ist, passt – wow!
Bei derart vielen Zufällen fällt es Carol Decker damals natürlich leicht, das Zitat zum Refrain zu machen und dem Song einen tiefen Sinn zu geben: Pass auf, was du dir wünschst und wovon du träumst – vielleicht kannst du damit nicht umgehen, wenn es in Erfüllung geht. Kunst oder Lüge?
Ob Carol Decker noch heute Pepe trägt, entzieht sich meiner Kenntnis.