Vinyl der Woche: Surfin‘ USA – The Beach Boys Diebische Nichtsurfer

Serie · Als sich die Beach Boys vor 60 Jahren für „Surfin‘ USA“ bei Chuck Berry bedienten, fragten sie nicht um Erlaubnis. Zu ihrer Verteidigung sei zu sagen: Die amerikanische Strafverfolgung machte es ihnen schwer.

Surfin' USA von den Beach Boys

Surfin' USA von den Beach Boys

Foto: Import (Major Babies)

Es gehört nicht nur zum guten Ton, sondern ist auch rechtlich verpflichtend: Wenn ich (also nicht wirklich ich, keine Angst, davon bleiben Sie musikalisch verschont) mich an den Song eines Künstlers bediene und daraus eine eigene Version zaubere, dann frage ich vorher um Erlaubnis. Das war in der Musikgeschichte nicht immer der Fall: Die Beach Boys hielten sich an diese Regel vor 60 Jahren nicht, bevor sie Surfin‘ USA herausbrachten.

Woran es lag, dass sich die kalifornische Band nicht bei Chuck Berry meldete, bevor sie sich an seinem Song Sweet Little Sixteen verging? Darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht hielten sie es einfach nicht für notwendig. Vielleicht machte ihnen aber auch die US-amerikanische Strafverfolgung einen Strich durch die Rechnung. Denn: Berry saß zu dieser Zeit im Knast, weil er in einem Nachtclub Sex mit einer 14-Jährigen gehabt haben soll, die dort als Garderobiere arbeitete. Ein kniffliger Fall, der mehrere Male neu verhandelt werden musste – unter anderem, weil der Richter sich rassistisch geäußert haben soll. Es wäre den Beach Boys also eine Kunst gewesen, dem Pionier des Rock ’n’ Roll ihre Version vorzuspielen und um Freigabe zu bitten.

Was sie jedoch hätten tun können: Ihn pro forma als Mitautor angeben (dass sie sich bedient hatten, wussten sie). Als Berry Jahre später, er saß mittlerweile nicht mehr im Gefängnis, mit einer Klage drohte, erklärte sich die Band dazu bereit, ihm den Großteil der Tantiemen zukommen zu lassen und ihn zusätzlich als Komponisten (der er ja auch war) anzugeben.

Dennoch wurde in den folgenden Jahren immer wieder darüber berichtet, dass es Spannungen zwischen den Beach Boys und Chuck Berry gebe. Dem entgegnete Sänger Brian Wilson jedoch, dass man Berry in Kopenhagen über den Weg gelaufen sei und dieser die Version des Songs liebte.

Man könnte bei einer Band, die sich The Beach Boys nennt und einen Song namens Surfin‘ USA veröffentlicht, denken, dass es sich dabei tatsächlich um eine Gruppe von Surfern handeln würde. Aber: Pustekuchen. Dennis Wilson war der Einzige der Jungs, der tatsächlich surfte. Dennoch machte sich die Band den zu dieser Zeit im heimischen Kalifornien sehr beliebten Sport zu eigen. Auch, weil dieser besonders bei Teenagern angesagt war, die die Plattenverkäufe ankurbelten. Diejenigen, die Mehrheit der Bürger, die nicht surften, konnten sich über Surfin‘ USA, der textlich gesehen fast ausschließlich eine Auflistung angesagter Surfspots ist, mit ihrem Heimatstaat Kalifornien identifizieren. Der Staat wurde als neu und modern angesehen. Ein Ort, an dem viele Menschen sein wollten. Von den 15 genannten Orten liegen 13 in Kalifornien, zwei auf Hawaii und einer in Australien.

Auch wenn man den Song nicht liebt – das schafft er sehr gut: Bilder im Kopf erzeugen, die einen an den Strand reisen lassen.

Christian Thome