Virginia Wolffs „Orlando“ „Queer“ vor knapp hundert Jahren

Trier   · Im Theater Trier hatte Virginia Woolfs „Orlando“ eindrucksvoll Premiere. Paraderolle für Luiza Braz Batista.

 Berührend und kurzweilig: Luiza Braz Batista verkörpert auf der Bühne Virgina Woolfs „Orlando“.

Berührend und kurzweilig: Luiza Braz Batista verkörpert auf der Bühne Virgina Woolfs „Orlando“.

Foto: Marco Piecuch/Theater Trier/Marco Piecuch

„Ich bin allein“ – so beginnt und endet der Abend im Theater Trier. Und so endet auch die Liebesgeschichte zwischen der Aristokratin Vita Sackville-West und der Schriftstellerin Virginia Woolf. Mit ihrem Roman „Orlando“, der an diesem Abend als Bühnenfassung in Trier Premiere feiert, hat die englische Ikone der Frauenbewegung der geliebten Freundin ein Denkmal gesetzt. „Orlando“ sei der längste und bezauberndste Liebesbrief der Literatur, schreibt Nigel Nicolson, der Sohn von Sackville-West. Schon von daher ist die Wahl des Werks eine Delikatesse im Programm des Trierer Schauspiels. Aber nicht nur deshalb. Wo eine Gegenwartsgesellschaft, „Homo“ und „Hetero“, offene und andere Beziehungen als private individuelle Entscheidungen und Befindlichkeiten zu respektieren lernt, da waren sich Woolf und ihre Freundin längst einig, dass es so einfach nicht sei, mit Identitäten und den konventionellen Rollen- und Geschlechtszuweisungen. Sie waren „queer“ lange bevor es den Begriff gab. Als eine Mischung aus Phantasie, biografischer und historischer Realität überbrückt der Roman mehr als drei Jahrhunderte ab dem 16. Jahrhundert, in denen Orlando nur 20 Jahre älter wird und sein Geschlecht ändert. Der junge Adelige vom Land wird zum Höfling von Elisabeth I., verliebt sich in eine russische Prinzessin, wird Botschafter in Konstantinopel und leidet nach einem Zeitsprung in London unter viktorianischer Bigotterie und Langeweile. Bis er als verheiratete, Auto fahrende Frau 1928 sein Gedicht „The Oak tree“ veröffentlicht, dem Jahr, in dem Woolfs Roman erscheint. Für seine rundum gelungene Inszenierung hat Yves Bombay geschickt den hinteren Teil des Theaterfoyers als entgrenzte Bühne genutzt, auf der lediglich ein paar Stühle und ein Spiegel als Requisiten stehen. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Philipp Matthias Müller hat er das Stück für die Bühne gefasst. Verdienstvoll haben sie dabei die Essenz des Romans destilliert, ohne ihm die Poesie zu nehmen. Es ist ein Glück, dass „Orlando“ in der Originalsprache aufgeführt wird. So bleiben Melodie und Rhythmus der Sprache wunderbar erhalten. Als „Ich-Erzählerin“ Orlando schafft Luiza Braz Batista im grauen, quasi Unisex-Hosenanzug (Kostüm Yvonne Wallitzer) einen poetischen Geistes- und Seelenraum, in dem die Fragwürdigkeit von Identitäten, Rollenzuweisungen, Konventionen, Lebensformen und -stilen verhandelt wird. In ihrer Performance veräußert die Crossover-Künstlerin, die inzwischen gleichermaßen als Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin überzeugte, berührend wie kurzweilig Orlandos Entwicklungsgeschichte. Seine Wandlungen und Seelenlagen, die sich im Wechsel von Ordnung und Chaos der Stühle materialisieren. Woolfs Humor, ihre feine Ironie und kluge  Weltsicht nehmen in Luiza Braz Batistas Stimme, in der Dynamik von Geste und Bewegung Gestalt an und verleihen der phantastischen Figur Orlandos Gegenwart. Als wahre Romantiker erweisen sich Woolf und die Schauspielerin in ihren Landschaftsschilderungen. in denen sich Orlandos Seele wie der Zeitgeist spiegeln. Zurück zum Eingangszitat: Allein bleibt nicht nur die verlassene Geliebte. Woolfs Klage der Einsamkeit, die den Abend quasi umklammert, weist als existenzielle Aussage weit hinaus ins menschliche Dasein bis hin zu Samuel Beckett. Viel Applaus im Publikum.

Orlando (in englischer Sprache) Aufführungen: 7., 8. Oktober, jeweils 10 Uhr, 12. Oktober: 19.30 Uhr. Das Stück ist für Schulen als mobile Produktion buchbar.

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