Volksfreund-Interview: Moderatorin Bettina Tietjen spricht über ihr Buch zur Demenzerkrankung ihres Vaters

Prüm · Die bekannte Fernsehmoderatorin Bettina Tietjen kommt im Oktober zum Eifel-Literatur-Festival nach Prüm. Im Gepäck hat sie ein sehr persönliches Buch mit dem Titel "Unter Tränen gelacht". Darin beschreibt sie ihre Erfahrungen mit der Demenzerkrankung ihres Vaters.

Prüm. In Bettina Tietjens Berufsleben spielen meist die Erfahrungen anderer Menschen die Hauptrolle. Die 56-jährige Journalistin, die mit ihrer Familie in Hamburg lebt, arbeitet seit vielen Jahren als Moderatorin von Fernseh-(Talk-)Sendungen. Viele Zuschauer kennen Sie aus Formaten wie "Hermann und Tietjen", "Tietjen und Hirschhausen", "Bettina und Bommes" oder "DAS!". Im vergangenen Jahr ist sie als Buchautorin in Erscheinung getreten, und dabei standen einmal eigene Erlebnisse im Vordergrund. Bettina Tietjen hat die Geschichte der Demenzerkrankung ihres Vaters aufgeschrieben. Wie es dazu gekommen ist, hat sie unserer Mitarbeiterin Anke Emmerling im Interview erzählt.Eifel-Literatur-Festival 2016


Frau Tietjen, warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Bettina Tietjen: Die Idee kam nicht von mir, sondern vom Piper-Verlag. Weil ich in einer Talkshow erzählt hatte, dass mein Vater und ich viele schöne Momente miteinander erleben durften, kam man mit der Buch-Anfrage auf mich zu. Zunächst habe ich das abgelehnt, weil ich ja meine Freizeit brauchte, um mich um meinen Vater zu kümmern. Als mein Vater aber gestorben war, habe ich mit meiner Schwester darüber gesprochen, hin und her überlegt und schließlich doch die Möglichkeit in Betracht gezogen.
Es war nämlich so, dass immer, wenn ich Freunden, Bekannten oder Kollegen von meinem Vater erzählt habe, sich bei vielen herausstellte, dass auch sie einen Demenzfall im engeren Umfeld hatten. Nur - sie sprachen nie von sich aus darüber, sondern immer erst, wenn ich damit anfing. Da scheint es Berührungsängste zu geben, eine Hemmschwelle, sich als Betroffener zu "outen". Ich glaube, viele Menschen haben Ängste, ein schlechtes Gewissen oder eine Hilflosigkeit im Umgang mit diesem Problem, vor allem am Anfang. Das war bei uns ja genauso. Deshalb habe ich beschlossen, den Austausch mit dem Buch zu fördern.
Gab es noch einen Beweggrund?
Tietjen: Ja, der zweite Grund war, dass diese ganze Welt der Pflegeheime viele Leute gar nicht interessiert. Die meisten Menschen waren noch nie in einem Altersheim, weil es sie nicht betrifft. Aber künftig werden immer mehr betroffen sein und eines Tages irgendeine Form von Pflege brauchen. Denn wir alle werden immer älter, die Demenz nimmt zu, das kann bald nicht mehr allein familiär gelöst werden. Ich wollte einfach mal schildern, was das eigentlich bedeutet, in einem Altersheim zu leben. Wie sieht es da aus, was arbeiten da für Leute, was ist das für ein Job? Es gibt so viele Vorurteile! Ich wollte das negative Klischee mal zurechtrücken und eine Lanze für die Menschen brechen, die diesen wichtigen Beruf ausüben.
Wie sah die praktische Umsetzung aus und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Tietjen: Ich habe mich mit meiner Schwester abgesprochen. Wir haben rekonstruiert, wie das alles angefangen hat, ich habe alle Arzt-, Pflege- und Krankenkassen-Unterlagen gewälzt, habe mir ganz viele Notizen gemacht - alles was mir einfiel, auch aus der Zeit, als mein Vater im Heim war. Und aus diesem Puzzle ist am Ende das Buch entstanden. Ich habe beim Schreiben gemerkt, dass es mir unheimlich gut getan hat, dass ich vieles erst begriffen habe, indem ich es aufgeschrieben habe.
Sie hatten die Gratwanderung zu meistern, der Öffentlichkeit mit Ihrer Geschichte intime Details aus dem Leben einer sehr nahestehenden Person preiszugeben. Wie sind Sie damit umgegangen?
Tietjen: Das war eine Grundsatzentscheidung. Wenn es um so ein Thema wie Demenz geht, muss man natürlich auch die eher unangenehmen und unschönen Details erzählen.
Die gehören dazu, die kann man nicht aussparen. Mein Vater lebt nicht mehr. Er hätte bestimmt nichts dagegen gehabt, und meine Familie hatte auch nichts dagegen. Für mich gab es nur entweder/oder: Wenn man die Geschichte erzählen will, um andere Menschen anzusprechen und Mut zu einem anderen Umgang mit dem Problem zu machen, dann muss ich als Betroffene natürlich auch die Hosen runterlassen, obwohl und gerade weil ich eine Person des öffentlichen Lebens bin. Ich finde, gerade diese auch mal unappetitlichen Einzelheiten, die einfach die harte Realität sind, sind ganz wichtig. Bei allen Lesungen erfahre ich, dass die Leute geradezu erleichtert sind, dass so was mal angesprochen wird.
Welche Reaktionen hat das Buch ausgelöst?
Tietjen: Nur positive! Ich bekomme immer noch ganz viele Zuschriften, Mails, Briefe von Leuten, die alle sagen, dass es ihnen ähnlich geht, und dass sie so froh sind, dass darüber mal gesprochen wird, dass man sich mal austauschen kann, und dass ihnen das Mut gemacht hat. Das Buch ist schon im März 2015 erschienen, ich bin bis Ende dieses Jahres komplett ausgelastet mit Leseterminen. Und ich könnte im nächsten Jahr so weitermachen, wenn mir nicht die Zeit fehlte - ich will ja auch mal ein neues Buch schreiben. Aber daran wird sichtbar, dass das Thema viele Leute betrifft, aktuell und emotional sehr belastet ist. Das erfahre ich auch immer am Ende der Lesungen durch Fragen und Geschichten der Zuhörer.
Sie selbst haben Emotionales in Ihrer Schilderung weitgehend ausgeblendet, das Buch klingt sehr sachlich - ist das Ihre Art oder auch Selbstschutz?
Tietjen: Das ist meine Art, ich kann ja da nicht in Gefühlsduselei ausbrechen, das ist nicht Sinn des Buches. Es soll aufklären - wie es in welcher Situation in meinem Innersten ausgesehen hat, gehört da nur begrenzt hinein.
Nun, das "Ich" im Titel ihres Buches schürt schon Erwartungen zu erfahren, wie es einer nahen Verwandten in einer solchen Situation geht ...
Tietjen: Das habe ich ja beschrieben, aber ganz bewusst so unsentimental wie möglich, das muss schon sein, ich bin Journalistin. Man muss eine Distanz haben, auch wenn es um den eigenen Vater geht. Zu große Emotionalität - das stelle ich auch immer wieder fest bei Gesprächen, die ich in meinen Sendungen führe, kann unangenehm sein. Das Gegenüber weiß meist nicht, wie es damit umgehen soll.
Sie planen ein neues Buch, wieder über ein gesellschaftlich relevantes Thema?
Tietjen: Nein, etwas ganz anderes, das möchte ich aber noch gar nicht verraten. Nur so viel: Es ist etwas Lustiges. In meinen Lesungen habe ich festgestellt, dass das Heitere mir doch mehr liegt - in meinem Buch gibt es ja auch lustige Passagen, es wird viel gelacht. Es macht mir Spaß, komische, skurrile Situationen zu beschreiben. Beim übernächsten Buch packe ich dann vielleicht wieder etwas Gesellschaftspolitisches an. aeExtra

In ihrem Buch "Unter Tränen gelacht" schildert Bettina Tietjen die Entwicklung der Demenzkrankheit ihres Vaters, von den ersten Symptomen bis zum Stadium der Pflegebedürftigkeit. Sie erzählt über die Ängste, Fragen und Gewissensbisse, die sie als Angehörige im Umgang damit beschäftigt haben. Und sie rückt eine Welt in den Fokus, die vielen Menschen unbekannt ist: Tietjens Vater hat seine letzten zweieinhalb Lebensjahre in einem Seniorenheim verbracht. Bei ihren Besuchen erlebte Tietjen den Alltag dort, seine Herausforderungen aber auch rührende und erheiternde Momente. In dieser Zeit kam sie ihrem Vater noch einmal sehr nahe. Auch davon erzählt ihr Buch, als ein bewegendes Protokoll des Abschieds. "Unter Tränen gelacht - Mein Vater, die Demenz und ich", Piper Verlag, 304 Seiten, gebunden, Preis 19,99 Euro, ISBN: 978-3-492-05642-7. aeExtra

Paul Maar, Mittwoch, 7. September, 15 Uhr, Aula St. Matthias-Gymnasium Gerolstein, Uwe Timm, Freitag, 9. September, 10.30 Uhr, Aula St. Matthias-Gymnasium Gerolstein, Schullesung; ebenfalls 9. September, 20 Uhr, Cusanus-Gymnasium Wittlich, öffentliche Lesung, Judith Hermann, Freitag, 23. September, Haus Beda, Bitburg, Pater Anselm Grün, "Versäume nicht dein Leben", Donnerstag, 6. Oktober, Stadthalle Bitburg, Alpenkrimi-Autor Jörg Maurer, Freitag, 14. Oktober, Forum, Daun, Bettina Tietjen, "Mein Vater, die Demenz und ich", Freitag, 21. Oktober, Karolingerhalle, Prüm, Thrillerautor Sebastian Fitzek, Samstag, 29. Oktober, Stadthalle Bitburg. Die Lesungen beginnen, wenn nicht anders angegeben, um 20 Uhr. red Karten: TV-Service-Center Trier, Hotline 0651/7199-996, www.volksfreund.de/tickets

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