Volksfreund-Interview: Stimmkünstlerin Hilde Kappes tritt beim Mosel Musikfestival auf

Trier/Bernkastel-Kues · Sie passt in keine Schublade. Was Hilde Kappes mit ihrer Stimme vollführt, ist weit mehr als Gesang, ist Akrobatik, Improvisation, Theater. Auf der Bühne ist sie zugleich Schauspielerin, Solistin und Orchester.

 Hilde Kappes bei ihrem letzten Auftritt im Trierer Landesmuseum. Foto: Artur Feller

Hilde Kappes bei ihrem letzten Auftritt im Trierer Landesmuseum. Foto: Artur Feller

Foto: Artur Feller

Mit ihrer "One Woman Opera" tritt die von der Mosel stammende Berliner Künstlerin am Donnerstag, 15. September, beim Mosel Musikfestival in Bernkastel-Kues auf. Mit TV-Redakteurin Anne Heucher sprach sie vorab über ihre Kunst und ihren eigenwilligen Lebensweg.

Frau Kappes, Sie sind Sängerin, Performance-Künstlerin, Sprachakrobatin - aber passen eigentlich in keine Schublade. Wie würden Sie sich selbst einordnen?

Hilde Kappes: Eine beliebte Frage. Ich sag immer: Stimmperformerin - dass man merkt, dass die Stimme das Hauptinstrument ist. Oder ich sag Sängerin und Musikerin - das ist das einfachste. Das Problem ist, dass die Menschen kategorisieren . Im Prinzip hab ich so was wie ne "Nicht-Kategorie", die auch wieder ne Kategorie ist. Im Theater grübelt man auch nicht, wenn diverse Stimmungen oder Figuren in einem Stück auftauchen. In der Musik ist das leider so. Meine Kunst ist Stimm- und Musiktheater. Ich bringe Figuren auf die Bühne, ich bringe Charaktere auf die Bühne.

Bei Ihrem letzten Auftritt in Trier haben Sie ein streitendes japanisches Ehepaar dargestellt - und das Publikum bog sich vor Lachen, obwohl vermutlich keiner Japanisch kann. War das Pseudo-Japanisch?
Hilde Kappes: Ich sag mal vorsichtig Asiatisch. Es ist ein Mischmasch aus verschiedenen Sprachen. Es ist alles natürlich ein Fake. Und trotzdem meinen die Menschen ja, es zu verstehen.

Warum kann sich das Publikum trotz fehlender Sprachkenntnisse so amüsieren?
Hilde Kappes: Weil die Emotionen und der Ausdruck der Stimme oftmals viel wichtiger sind als die Worte. Und das ist eigentlich das, was mich interessiert: Was liegt hinter der Sprache? Menschen sind in ihrer Art ja oft so kompliziert und erfinden Geschichten und sich selbst. Deshalb war ich eigentlich schon immer daran interessiert zu erfahren, wer steckt eigentlich da drunter oder dahinter. Mich interessieren Identitäten, und so ne Sprache ohne Worte hat dennoch emotionalen Ausdruck. Das ist bei dem Streitgespräch sehr deutlich, damit kann sich jeder sofort identifizieren, weil jeder schon mal gestritten hat, und die Dynamik des Lauterwerdens, des Heftigerwerdens reicht schon aus, um die eigene Fantasie laufen zu lassen.

Wie viele Sprachen sprechen Sie eigentlich?
Hilde Kappes: Leider nur zweieinhalb. Ich hab Französisch in der Schule gehabt, Englisch sowieso, Spanisch möchte ich gerne lernen.

Das heißt, Ihr Auftritt als kniender Italiener, der "mi padre" und "mea culpa" betet, ist auch nicht auf echtem Italienisch?
Hilde Kappes: Ich mach es schon manchmal, dass ich einen echten Satz einfüge. Damit gebe ich auch selber nochmal die Erinnerung an die Sprache und versuche, mich so in diesen Charakter reinzuversetzen. Das machen die Impro-Theaterleute ja auch. Das ist gar nicht mal so exquisit-individuell. Ich glaube, die Kombination mit der Musik macht es eigentlich interessant. Weil ich an ein italienisches Sprachkostüm eine entsprechende Musik hänge. Es sind die Rhythmen - oder der Klang der ganzen Kultur, die da aufgefangen wird.

Ihre Musik ist ja experimentell - Jazz, Chanson, dann erinnert es mich manchmal ein bisschen an Nina Hagen. Und da werden auch mal zwei Plastikflaschen oder ein Abflussrohr zu Instrumenten. Bieten die herkömmlichen Musikinstrumente nicht genügend Ausdrucksmöglichkeiten?
Hilde Kappes: Doch bestimmt. Das könnte man bestimmt auch alles mit einem Klavier machen oder einem Schlagzeug. Ich bin fasziniert davon, wie Klang auf Menschen wirkt und wie man den Klang transportiert. Das heißt: Du kannst aus jedem Klang etwas machen, indem du ihn wirklich bewusst machst. Aus so einem Sound auf dem Abflussrohr oder auf Plastikflaschen, je nach dem, welchen Rhythmus oder welche Geschichte du ihm gibst oder welche Stimme, kommt etwas ganz Bezauberndes raus. Ich find es auch toll, ein schwieriges Stück am Klavier zu spielen - aber Menschen neugierig zu machen, mit guter Musik auf ungewöhnlichem Material, da passiert einfach auch was im Gehirn. Wenn man überrascht wird mit ungewöhnlichen Klängen - man sieht richtig, wie die Leute anfangen nachzudenken, weil sie auch irgendwie den Halt ans Gewohnte verlieren. Zumindest in Deutschland.

Das heißt, die Leute gehen in anderen Ländern eher mit, sind spontaner in ihren Reaktionen?
Hilde Kappes: Ja, man merkt die Atmosphäre ist schneller lockerer - es wird weniger nachgedacht. Man merkt schon, dass die Leute oft überrascht sind - das ist ein schöner Moment.

Sie sind in Bernkastel-Kues aufgewachsen. Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Hilde Kappes: Ich habe bei meinem Vater Edmund Kappes Klavier gelernt, er war Organist und Chordirektor. Dann hab ich gewechselt zu Erna Mohrs. Später hat mir meine Schwester einen super-tollen Tipp gegeben, dass es das Studium der Rhythmik gibt, also der rhythmisch-musikalischen Erziehung, und dann ging das so seinen Weg.

Sie sind schon mit 16 von der Mosel weggegangen nach Wien?
Hilde Kappes: Nein, erst war ich noch ein Jahr in Köln an der Musikhochschule, aber da bin ich durchgefallen wegen Harmonielehre. In Wien hatten sie ein größeres Interesse an Ausdruck und Bewegung. Das Fach Rhythmik, heute: Musik- und Bewegungserziehung, untersucht die Verbindung von Musik und Bewegung und umgekehrt und wie beides sich beeinflusst. Es ist ein sehr vielseitiges Studium im Rahmen der Musikpädagogik. Die Freiheit des Musizierens über den Köper hat hier eine besondere Bedeutung.

Nach einem Ihrer letzten Auftritte an der Mosel soll eine ältere Dame Sie gefragt haben: "Hilde, warum kannst du nicht einfach nur normal singen?" Was antworten Sie da?
Hilde Kappes: Ich habe damals geantwortet: "Weil das Leben auch nicht nur normal ist." Mich interessiert das Menschliche am Menschen, seine Facetten und Empfindungen, und wie dies musikalisch und theatralisch sich ausdrücken lässt und auch, wie es auf den Hörer wirkt. Alles was mit Leistungssport zu tun hat, da krieg ich so ein bisschen die Krise. Stress und Druck verhindern Herzensqualitäten. Musik berührt, das Gefühlte und Erlebte berührt über das Stück. Unter OpernsängerInnen und Sängern und unter klassischen Musikern herrscht extremer Konkurrenz-Stress und immenser Druck zu genügen. Wozu, frage ich mich, wird Musik hier missbraucht?

Sie haben trotzdem mehrere Preise bekommen, also auch mit Ihrer Leistung Erfolg. Ist das nicht auch eine Versuchung?
Hilde Kappes: Erfolg ist etwas Kurzlebiges. Ich bin meist eine "arme Kirchenmaus", aber ich empfinde meine Treue mir selbst gegenüber als großen Erfolg. In der Zeit, in der ich so drei, vier Kabarettpreise bekommen habe, wurde ich danach recht unglücklich. Die Leute haben dann ganz schnell ihre Katagorien - und im Nu ist man dann im Kabarett drin, aber ich bin keine typische Kabarettistin. Ich gehöre entweder ins Theater oder auf eine Musikbühne. Ich bin eine Vollblutmusikerin. Ich benutze Musik und die ihre Ausdrucksmöglichkeiten, um sie mit dem menschlichen Sein in Verbindung zu bringen - also wenn ich einen temperamentvollen Russen darstellen will, dann hab ich sofort musikalisch was parat und das kann durchaus lustig sein- warum nicht. Das ist wie im Theater, da gibt es Szenen, wo du plötzlich heulen könntest oder plötzlich loslachst. Im Theater hinterfragt das niemand. Aber in der Musik - da sagen die Leute: Äh, da kommt jetzt ein trauriges Stück - eben hat sie mich doch noch zum Lachen gebracht. Durch die Kabarettpreise wurde mir das so ein bisschen genommen, sodass ich das Gefühl bekam, ich darf kein trauriges Stück mehr machen. Mir wurde klar, dass das Publikum der Kabarettbühnen das erwartet. Ich will aber Gefühle zeigen und Facetten und Charaktere des Mensch-Seins.

Was erwartet das Publikum bei Ihrem Auftritt in Bernkastel-Kues?
Hilde Kappes: Das Thema heißt "Du sollst begehren". Dabei geht es, um mit Nikolaus von Kues zu sprechen, um die Einheit in der Vielfalt. Da gibt es Stücke über die gescheiterte Liebe, die glorreiche Liebe, die verlorene Liebe, die verlassene Liebe, die enttäuschte Liebe, Stücke nicht nur von mir, sondern auch Chansons oder Songs, die ich ein bisschen anders darstelle. Zum Beispiel Hugo Wieners "Nowak lässt mich nicht verkommen", das ist ein ganz alter Klassiker, oder ein Präludium von Johann Sebastian Bach, aber gesungen.

Sind sind in der Region aufgewachsen und haben es geschafft, sich als Künstlerin zu verwirklichen. Was empfehlen Sie jungen Leuten, die sich musikalisch entwickeln möchten?
Hilde Kappes: Das Wichtigste ist, sehr viel zu experimentieren, Improvisation zu lernen und den freien Ausdruck in Leib und Seele zulassen zu lernen und sich den passenden Lehrer für diese Ziele zu suchen. Freiheit im Spiel erfordert immer auch eine Freiheit im Geiste und eine bewusste Persönlichkeit. Ohne eine gewisse Freiheit auch im Leib, im körperlichen Spiel, eine Natürlichkeit im Körper geht das nicht. Hier besteht meiner Meinung nach auch der größte Auftrag für die Bildungspolitik: den kreativen Ausdruck zur Bildung von Persönlichkeiten wieder zu fördern.

Hilde Kappes, One Woman Opera, Donnerstag, 15. September, 20 Uhr, Bernkastel-Kues, Mosellandhalle.
Karten gibt es im TV-Service-Center Trier, unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996 sowie unter www.volksfreund.de/tickets

Hilde Kappes bietet an den Tagen nach ihrem Auftritt in Bernkastel-Kues auch Workshops unter dem Titel "Bin I wos oder bin I nix" an. Themen sind Stimme und Identität, Ausdruck und Präsenz. Sie finden statt am Freitag, 16. September, 17 bis 21 Uhr (für Jugendliche und junge Erwachsene), Samstag, 18. September, 12 bis 18 Uhr (Jugendliche und Erwachsene), und Sonntag, 19. September, ab 12 Uhr (Jugendliche).

Anmeldung und weitere Informationen unter E-Mail: hildekappes@gmx.net, www.hilde-kappes.de oder Telefon 0173/6121187.

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