Volle Waschkraft nach Sonnenuntergang

Trier · Im Salat unerwünscht, doch als gasförmiges Radikal in der Atmosphäre ist Nitrat wichtig für den Abbau von Luftschadstoffen. Heute stellt die Serie des Deutschlandfunks in Kooperation mit dem Trierischen Volksfreund das Molekül vor.

Trier. Auf Metallstelzen thront sie und ist geräumig wie ein Gewächshaus - die Atmosphären-Simulationskammer "Saphir" im Forschungszentrum Jülich (FZJ). In einem Container am Fuß der Versuchsanlage macht sich Theo Brauers zu schaffen. "Man macht hier eine Atmosphäre, wie man sie will", erklärt der Physiker, "aus Reinluft und Additiven, die man so braucht." Die gläserne Testkammer verrät den Forschern viel über chemische Reaktionen in der Troposphäre, unserer bodennahen Wetterschicht. Dabei haben sie auch "schon NO{-3} ganz speziell untersucht", wie Brauers gerne bestätigt.
UN-Jahr der Chemie Das Molekül der Woche


Die chemische Formel steht für Nitrat. Das kennen wir als wasserlösliches Salz der Salpetersäure, von dem (nach zu starker Stickstoff-Düngung auf dem Acker) schon mal zu viel im Salat verbleiben kann.
NO{-3} existiert aber auch als Spurengas und sogenanntes Radikal in der Luft, mit einem ungepaarten Bindungselektron, was die Verbindung ganz hibbelig macht. Es ist diese flüchtige und sehr reaktionsfreudige Form des Moleküls, die weitgehend unbekannt ist und Atmosphärenforscher interessiert. "NO{-3} führt uns sozusagen zu neuen Ufern, nämlich zur Nachtchemie". So formuliert es Andreas Wahner, der Leiter des FZJ-Instituts, das sich mit der Troposphäre beschäftigt.
Tagsüber macht sich NO{-3} dünne. Unter Lichteinfluss ist das Molekül nicht stabil. Nach Sonnenuntergang aber "wird es spannend", sagt Wahner. Dann entsteht Nitrat jedesmal neu, mutiert zum nachtaktiven Waschmittel "und reagiert vorzugsweise mit ungesättigten Kohlenwasserstoffen". Dazu zählen natürliche Spurengase wie Isopren, das Pflanzen ausdünsten, aber auch Luftschadstoffe wie Propen, die aus Autoabgasen stammen. Diesen Schmutz wäscht das NO{-3}-Radikal nachts aus der Luft.
Zur molekularen Putzkolonne der Atmosphäre zählen noch weitere Spurengase neben Nitrat. Die beiden wichtigsten sind das noch reaktionsfreudigere "Hydroxyl-Radikal" (OH) und Ozon. Laut Physikochemiker Wahner "arbeiten sie alle in die gleiche Richtung", allerdings im Schichtbetrieb. NO{-3} schiebt Nachtdienst, das OH-Radikal wienert tagsüber, "und Ozon läuft eigentlich immer so, grob gesagt".
Experimente wie die in der Jülicher Simulationskammer demonstrieren, dass Radikale wie NO{-3} für uns überlebenswichtig sind. Ohne die fortwährende Selbstreinigung der Atmosphäre würden sich Kohlenmonoxid und andere Schadgase in der Atmosphäre anreichern. Ein Szenario, das sich Andreas Wahner nicht ausmalen möchte: "Wir hätten zwar noch Luft zum Atmen, aber die wäre vergiftet."
Wie beruhigend, dass es Radikale gibt! Zumindest in der Erdatmosphäre ...
Die Beiträge dieser Serie laufen im Deutschlandfunk immer mittwochs um 16.35 Uhr in der Sendung "Forschung aktuell". In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Infos unter www.dradio.de/jahrderchemie

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort