Vom Bösen, das allzeit präsent ist

Trier · Das Trierer Tanztheater bringt die Dämonen des Hieronymus Bosch auf die Bühne, inszeniert von Susanne Linke.

 Gefährliche Szene: Tänzer Paul Hess in der neuen Produktion „Hieronymus und der Meister sind auch da“ am Trierer Theater. Foto: Theater Trier/Oliver Look

Gefährliche Szene: Tänzer Paul Hess in der neuen Produktion „Hieronymus und der Meister sind auch da“ am Trierer Theater. Foto: Theater Trier/Oliver Look

Foto: OLIVER LOOK (g_kultur

Trier Vor den schwarzen Wänden der Theaterbühne steht eine weiße Faltwand, deren Teile zu einer Skulptur angeordnet sind. Davor liefern sich zwei Tänzer einen Kampf. "Halt", ruft Susanne Linke aus dem Zuschauerraum, "das müssen wir noch mal machen, ich komme mal auf die Bühne." Und schon ist die grazile Frau in Jeans und Pullover unterwegs Richtung Bühne.
Die Choreographin und Chefin der Trierer Tanzsparte probt gerade für ihre neue Produktion "Hieronymus und der Meister sind auch da". Soviel sei vorab verraten: die Faltwand wird ihr unschuldiges Weiß nicht behalten, sondern Projektionsfläche für allerhand Motive werden, die sich auf den Titel und die Idee des Stücks beziehen. Von welchem Hieronymus hier die Rede sein wird, ist nach dem Bosch-Jahr 2016 leicht zu erraten. Gemeint ist der rätselhafte niederländische Maler, in dessen Werk sich nach den Worten des Kunsthistorikers Henri Focillon "der Bodensatz des Mittelalters entleert". Tatsächlich findet sich im Werk des Künstlers, der an der Schnittstelle zwischen Mittelalter und Neuzeit lebte, alles verbildlicht, was dieses Mittelalter ausmacht: tiefe Frömmigkeit, die untrennbar verbunden ist mit ebenso tief sitzenden Ängsten vor Höllenqualen und Strafe, als Folge von Sündhaftigkeit und Lust. Gleichwohl: Was offensichtlich Hieronymus Boschs Alpträume vor 500 Jahren an den Tag brachten, was er als Menschsein erkannte, ist aktuell wie eh und je. Auch heute setzen Gewalt und Größenwahn die Welt in Brand, sind Eitelkeit, Neid, Bösartigkeit und Hass an der Tagesordnung. "Bosch war geradezu ein Visionär, zu was Menschen in der Lage sind", sagt Susanne Linke.
Bei der Vorbereitung des Projekts hat sich die Künstlerin intensiv mit dem Werk und der neusten Forschung über den Maler beschäftigt, über dessen Leben und Person kaum mehr bekannt ist, als dass er von 1450 bis 1516 in der Trierer Partnerstadt s.Hertogenbosch lebte. "Die grausamen, schrecklichen Szenen haben mich tief berührt. Sie sind hochaktuell", sagt Linke. Fasziniert hat die Choreographin zudem der hintergründige Humor, der aus Boschs Bildern spricht und der in der menschlichen Tragödie die Narretei sichtbar macht. Eben um diese endlose Geschichte menschlicher Gewalt, Bosheit, Habgier und sozialer Kälte geht es auch in Linkes neuer Choreographie, um Bedrohung und Verunsicherung. Boschs satanische Welt ist längst nicht überwunden, lautet Linkes Botschaft.
Neben dem Maler hat die Choreografin noch einen zweiten Großen der Kulturgeschichte zum Zeugen zeitloser menschlicher Missstände und irdischer Übel gerufen, den russischen Schriftsteller Michail Bulgakow. In seinem berühmtesten Werk "Der Meister und Margarita", auf das sich der zweite Teil des Titels bezieht und das immer wieder der Zensur zum Opfer fiel, nimmt der Schriftsteller unterhaltsam und satirisch alles aufs Korn, was nicht nur russische Wirklichkeit seiner Zeit war. Bürokratie, Obrigkeitshörigkeit und vor allem die Feigheit sind seine groteske Hölle auf Erden. "Bulgakow war für uns ebenfalls eine Inspirationsquelle, wozu der Mensch alles fähig ist", erklärt Linke.
Premiere ist am Samstag, 28. Oktober, 19.30 Uhr, im Großen Haus.
"Hieronymus und der Meister sind auch da" ist die letzte Choreographie von Susanne Linke am Theater Trier. Zum Ende der Spielzeit verlässt die Chefin der Tanzsparte das Haus, da ihr Vertrag nicht verlängert wird (der TV berichtete). In einer persönlichen Stellungnahme bedauert Linke die Entscheidung. Als sie im 2014 mit dem künftigen Intendanten Karl Sibelius die Konditionen für sich und das Ensemble ausgehandelt habe, sei sie von einer Zusammenarbeit über fünf Jahre ausgegangen, stellt Linke fest. Wegen ihres Alters (Jahrgang 1944) habe sie zunächst einen Drei-Jahres-Vertrag vorgeschlagen, ohne zu ahnen, dass die Intendanz Sibelius keine zwei Spielzeiten überlebe. Dass ihr Vertrag nun nicht um zwei weitere Jahre verlängert wird, empfindet die hochangesehene Choreographin und Tänzerin als enttäuschend. "Hier wird ein Ensemble aufgelöst, das nicht einmal drei Spielzeiten unbeschadet miteinander arbeiten konnte." Das Ensemble können nun zahlreiche Gastspiele nicht realisieren.

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