Vom Überleben in der Sprache

Prüm · Herta Müller, Literaturnobelpreisträgerin 2009, hat am Montag in Prüm vor 800 Zuhörern erzählt, gelesen und beeindruckt. Der Abend beim Eifel-Literatur-Festival, präsentiert vom TV, war innerhalb von einer Woche ausverkauft.

 Zierliche Frau mit mächtigen Worten: Herta Müller im Gespräch mit Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses Berlin. TV-Foto: Friedemann Vetter

Zierliche Frau mit mächtigen Worten: Herta Müller im Gespräch mit Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses Berlin. TV-Foto: Friedemann Vetter

Zum dritten Mal gastierte Herta Müller beim Eifel-Literatur-Festival, und dennoch war es eine Premiere: Denn diesmal kam die Autorin als Literatur-Nobelpreisträgerin nach Prüm - und als erste deutsche Schriftstellerin, die diese Auszeichnung erhalten hat.

Entsprechend dankbar zeigt sich Festivalchef Josef Zierden zu Beginn des Abends in der Wandalbert-Hauptschule: "Wir sind stolz, dass Herta Müller auch auf dem Olymp der Literatur die Eifel nicht vergessen hat."

Vom Olymp herab auf die Prümer Bühne - und zum Gespräch mit Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses Berlin und wie die Autorin ebenfalls im rumänischen Banat geboren. Plötzlich macht es "wump!", ein Scheinwerfer fällt aus - und Herta Müller lacht die kurzfristige Panne einfach weg: "Schön! Jetzt ist das Publikum beleuchtet, und wir sind im Dunkeln."

In ihren Büchern setzt sie sich mit totalitären Systemen auseinander, schreibt gegen Verfolgung, Unterdrückung und Demütigung an. Das gilt auch für ihren Roman "Atemschaukel", aus dem sie am Abend einem konzentriert lauschenden Publikum sechs Kapitel vorliest.

Zierlich ist sie, fast schmal. Wie immer ganz schwarz gekleidet, lediglich die Lippen leuchten im blassen Gesicht dunkelrot. Herta Müller wirkt grazil, doch ihre Sprache ist erstaunlich mächtig.

"Atemschaukel" wäre nicht möglich gewesen ohne einen weiteren Autor, der an diesem Abend nahezu durchgängig präsent ist: Oskar Pastior, der 1927 in Siebenbürgen geborene und 2006 gestorbene Büchner-Preisträger, wie Herta Müller Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien.

Pastior ist das reale Vorbild von Leo Auberg - dem Erzähler in "Atemschaukel", der am Ende des Zweiten Weltkriegs in ein stalinistisches Lager in der Ukraine deportiert wird und dort fünf Jahre lang Zwangsarbeit leisten muss, während um ihn herum viele andere Internierte sterben. Das Lager, habe Pastior einmal gesagt, "hat mir die Sprache zerschlagen".

Deshalb habe er die Lagererfahrung nicht selbst zum Buch machen können. Und dennoch war es die Sprache, die ihn rettete - durch ständige Todesangst hindurch, durch Erschöpfung, Heimweh, Hunger. Pastior habe ihr in den gemeinsamen Gesprächen, aus denen dann der Roman wurde, "ein Netz von unglaublichen literarischen Metaphern" hinterlassen, erzählt sie: "Ein Schaufelhub ist ein Gramm Brot" zum Beispiel. Oder den "Hungerengel", der für ihn zum "Monster" wurde, das "wie ein Hund vor dem Teller saß und fraß" - und gegen den er sich mit seinem inneren Monolog gewehrt habe beim Versuch, "wenigstens im Kopf Mensch zu bleiben".

"Ich weiß, du kommst wieder"



Auch wenn sie den Roman nach Pastiors Tod alleine schrieb - er sei immer ihr Begleiter gewesen, sagt Herta Müller. "Dafür bin ich ihm so dankbar."

Dankbar zeigt sich auch das Prümer Publikum. Und ein beglückter Josef Zierden liefert zum Abschied das treffende Zitat aus "Atemschaukel", "das ich heute Abend ganz profan auf Herta Müller anwenden will: ,Ich weiß, du kommst wieder'." Langanhaltender Applaus.

Nächster Gast des Eifel-Literatur-Festivals ist Martin Walser heute, 19. Mai, um 20 Uhr im Cusanus-Gymnasium in Wittlich. Karten sind in den TV-Service-Centern Trier, Bitburg und Wittlich erhältlich. Weitere Infos unter www.eifel-literatur-festival.de.

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