Von alten Damen und idiotischen Regisseuren

TRIER. Das Trierer Theater ist immer für neue Ideen gut – nicht nur bei den Produktionen. Jetzt lud man das Publikum ein, um über die neue Spielzeit zu informieren und über die laufende zu diskutieren. Trotz stadtlauf-bedingter Verkehrs-Malessen kamen rund 400 Interessenten.

"Na, sind Sie gut gelaufen?" fragte zur verspäteten Eröffnung ein verschmitzter Generalmusikdirektor István Dénes. Die unfreiwilligen Umwege aufgrund des Stadtlaufs taten der guten Stimmung keinen Abbruch, die ein locker aufgelegtes Team mit Gerhard Weber und seinem bühnentauglichen Dramaturgen-Trio verbreitete. "Sie sind unsere treuesten Kunden und bleiben das hoffentlich auch", charmierte der Intendant das überwiegend nicht dem jugendlichen Alter zuzurechnende Publikum. Appetithäppchen versprechen Genuss

Selbiges zeigte sich dankbar berührt und geizte nicht mit Beifall, als Chefdramaturg Peter Oppermann mit geschickt ausgewählten Appetithäppchen den Mund wässrig machte auf die kommende Spielzeit. In der Tat wurde manches präsentiert, was Großes verspricht. Eva-Maria Günschmanns "Carmen" etwa, die schon bei einer kleinen Kostprobe ahnen ließ, welchen Genuss ihre Auseinandersetzung mit der populärsten Frauen-Figur der Operngeschichte bereiten dürfte. Oder Claudia Felix, deren Lesung aus "Madame Bovary" unwillkürlich die Frage aufwarf, ob man nicht auf die Dramatisierung von Flauberts Roman ganz verzichten und stattdessen die Fantasie des Zuhörers spielen lassen sollte, beflügelt durch einen derart berückenden, mit exzellenter Sprechkultur gestalteten Vortrag. Einen hohen Werbefaktor konnte das Frank-Nimsgern-Musical "Paradise of pain" für sich verbuchen. Allein die von Peter Singer rezitierten Regieanweisungen für die schräge Verwechslungskomödie zwischen Himmel und Hölle lockten jede Menge Lacher hervor. Zustimmende Ahs und Ohs auch für die Ankündigung einer Hildegard-Knef-Revue mit Verena Rhyn in der Titelrolle. Manche Saison-Höhepunkte werfen spannende Fragen auf: Wie schafft es das barock-ungewohnte Orchester, nach drei Jahrzehnten wieder mal eine Händel-Oper ("Alcina") zu spielen? Wie meistert Vera Wenkert, die das Schwere und Tragische so herausragend beherrscht, eine spielerische Operetten-Rolle wie die "Czardasfürstin"? Kann der neue Ballettchef Sven Grützmacher an den "Requiem"-Sensations-Erfolg seiner Lehrmeisterin Birgit Scherzer anknüpfen? In manchen Punkten darf man getrost auch ein wenig bangen. Ob Rupert Lummer Donizettis "Liebestrank" besser in den Griff bekommt als Rossinis "Italienerin", bleibt ebenso offen wie die Frage, ob Tenor Gor Arsenian lernt, dass Carmens Don José keine schmetternde Dramatik braucht, sondern lyrischen Feinschliff. Das größte Fragezeichen steht hinter Wagners "Fliegendem Holländer". Von zwei Sondervorstellungen mit Franz Grundheber abgesehen, traut sich das Trierer Theater erstmals ohne Gäste an ein Wagner-Werk. Ex-Intendant Lukas-Kindermann holte für seine Wagner-Produktionen Stars wie John Treleaven, Janice Baird, Raimo Sirkiä, Andras Molnar, John Murray Horton und Nancy Gustafsson. Jetzt soll es das Ensemble richten, das bislang allein mit Vera Wenkert in den Hauptrollen vertreten war. Beim Aufgalopp im Rahmen der Matinee war erheblicher Handlungsbedarf in Sachen Wagner-Gesang und Sprechkultur ("wie aus der Färrnääh längst vergongner Zäiten") unüberhörbar. Dafür verspricht Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" schon aufgrund der Titelrollenbesetzung ein Schmankerl zu werden. Elisabeth Wiedemann amüsierte das Publikum nicht nur mit überraschenden Bekenntnissen ("Das erste, was ich in Trier gemacht habe, war, die Hotelbetten für meinen Mann und mich zusammenzuschieben"), sondern auch mit provokanten Erkenntnissen über die Zusammenarbeit von Regisseuren und Schauspielern. Als sie davon sprach, dass "irgendwelche idiotischen Regisseure mehr sich selbst inszenieren als das Stück", hatte der in Konflikten mit Spielleitern erprobte GMD István Dénes Mühe, nicht vor Freude von seinem Klavierschemel zu fallen. Kollektives Raunen und spontaner Beifall schließlich im Saal, als der hellwache Stargast sein Alter verriet: "Bald werde ich 80".Erwünscht: eine Übertitelungs-Anlage

Nach so viel guter Laune war die Diskussions- und Kritikbereitschaft des Publikums am Ende nicht mehr sonderlich ausgeprägt. Nach Seniorenvorstellungen am Nachmittag wurde gefragt, und warum man die Akteure im Trierer Haus oft so schlecht verstehe. Auf einhelligen Beifall stieß der Vorschlag einer Besucherin, künftig alle Opern ("auch deutsch gesungene") zu übertiteln. Das scheitere noch am Geld für eine entsprechende Anlage, sagte der Intendant. Vielleicht ein Fall für eine Sammel-Aktion, ähnlich wie einst bei der Stuhlpolsterung.

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