Von BücherDJs, regionalen Krimis und Extremisten

Frankfurt · Fast jede Ecke Deutschlands hat einen literarischen Kommissar. Der Umgang mit politischem Extremismus beschäftigt zunehmend auch Schriftsteller. Und mit einem BücherDJ kann man sich das farblich passende Buch zur Einrichtung aussuchen: Drei Trends am Rande der Frankfurter Buchmesse.

Frankfurt (dpa/KNA) Regionale Krimis: Jutta Wilkesmann erhält in ihrem Buchladen in Frankfurt gelegentlich unangemeldeten Autorenbesuch. Es sind Leute, die im stillen Kämmerlein einen Krimi geschrieben haben und nun für ihr selbst verlegtes Manuskript einen Platz in der "Wendeltreppe" suchen.
Die gehört seit der Gründung vor fast 30 Jahren zu den wenigen Krimi-Buchhandlungen in Deutschland. Doch Wilkesmann ist oft nicht so glücklich mit den handgestrickten Geschichten. "Regionalkrimis sind nicht immer gut", sagt die Buchhändlerin. So mancher Kritiker ist sogar der Ansicht, dass die meisten Geschichten schlecht geschrieben sind. Dem Boom hat es jedoch keinen Abbruch getan. Seit Jacques Berndorf Ende 1989 seinen ersten Eifel-Krimi schrieb, hat fast jeder Landstrich und jede mittelgroße Stadt in Deutschland ihren eigenen Krimi erhalten. Auf diese Kommissare haben sich auch die Fernseh-Sender gestürzt.
"Das Wiedererkennen des Schauplatzes ist ein zusätzlicher Bonus", sagt dazu Cordelia Borchardt vom Verlag S. Fischer in Frankfurt, der immens erfolgreichen Ostfriesen-Krimis von Klaus-Peter Wolf im Programm hat. An der Nordseeküste gehören inzwischen - wie auch in anderen Krimiregionen Deutschlands - Führungen auf den Spuren von Wolfs Romanen zum Pflichtprogramm von Kurorten.
Der Trend zu Landlust und Landliebe beschränkt sich aber im Buchmarkt nicht nur auf Krimis. Der nach 1945 wegen der Blut-und-Boden-Politik im Nationalsozialismus lang verpönte Begriff "Heimat" wird neu entdeckt. "In der globalisierten Welt wird das, was in meinem Blickwinkel liegt, als Bezugspunkt immer wichtiger", sagt Jürgen Kron vom Droste Verlag in Düsseldorf. Sein Haus hat gar keine Krimis im Sortiment, sondern produziert andere Dinge rund um das Thema Heimat: Bücher zum Wandern oder zur regionalen Kulturgeschichte. Zum dritten Mal sind jetzt im September bundesweit spezielle "Regionalbuchtage" organisiert worden, an denen sich 250 Buchhandlungen beteiligt haben.
Der Regionalkrimi braucht jedoch am wenigsten Werbung. Allerdings ist nach der Titelflut der vergangenen Jahre inzwischen eine Konsolidierung eingetreten, wie Cordula Borchardt feststellt, die in ihrer Verlagsgruppe für die Unterhaltung zuständig ist. Den Begriff Regionalkrimi mag sie ohnehin nicht, da er in Deutschland immer noch oft abwertend gemeint sei. "Die Autoren stehen immer im Verdacht, Schund zu schreiben." Jedes Buch müsse individuell betrachtet werden, meint auch "Wendeltreppe"-Buchhändlerin Wilkesmann. "Es gibt nur gute oder schlechte Krimis."
Extremisten-Thriller: "Man verheimlicht uns alles. Man sagt uns gar nichts": Diese Chansonzeile zitierte der französische Schriftsteller Jerome Leroy in seinem dystopischen Thriller "Der Block", der im Frühjahr für Furore sorgte. Darin ist eine rechtspopulistische Bewegung kurz davor, in Frankreich die Macht zu übernehmen.
Der französische Roman war auch in anderer Hinsicht wegweisend: Im laufenden Jahr erscheinen immer wieder Bücher, die sich mit Extremisten jeglicher Couleur befassen. In "Endland" entwirft Martin Schäuble ein ähnliches Faschisten-Szenario für Deutschland. Die fiktive Partei, die in diesem Buch für junge Erwachsene an Einfluss gewonnen hat, heißt Nationale Alternative. Anton, die Hauptfigur, sympathisiert mit ihr - kann aber nicht recht erklären warum.
Dass aus einem solchen Lebensgefühl des "Irgendwie" diffuse Sorgen entstehen können, ist nicht zuletzt bei der Bundestagswahl deutlich geworden. Neben Rechtspopulisten prägen vor allem islamische Extremisten die Schlagzeilen - und den Buchmarkt. Der Zeit-Korrespondent Yassin Musharbash hat mit "Jenseits" seinen zweiten Roman rund um Terror und Radikalisierung vorgelegt. Im Mittelpunkt steht Gent Sassenthin, ein Medizinstudent, der sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" angeschlossen hat - und nun offenbar aussteigen möchte. Auch Elnathan John weiß, wovon er schreibt. Der erster Roman des Nigerianers - "An einem Dienstag geboren" - ist keine Dystopie im Wortsinn, kein düsteres Zukunftsszenario. Er spielt im Norden von Nigeria, in einer rohen, brutalen und allzu realen Welt.
Die Hauptfigur Dantala wächst dort während politischer Unruhen auf. Der Glaube scheint das Einzige, das dem Jugendlichen Halt gibt. Zugleich interessiert sich Dantala für die weite Welt, lernt Englisch und will es nicht hinnehmen, wenn beispielsweise Spendengelder veruntreut werden. Der deutsche Roman "Ich schwöre" dreht sich um die Radikalisierung junger Muslime; ein Thema, das in den vergangenen Monaten immer wieder die Schlagzeilen beherrscht hat.
Der düstere Trend auf dem Buchmarkt stößt indes nicht nur auf Gegenliebe. Der britische Schriftsteller Salman Rushdie - der seinen eigenen neuen Roman "Golden House" in der Tradition der griechischen Tragödie sieht, beschreibt darin den Aufstieg eines Despoten zum US-Präsidenten, also auch eine bedenkliche politische Situation. Aber er habe der Realität etwas Positives entgegen gesetzt, so Rushdie: "Ich wollte eine Art Sieg der menschlichen Natur am Ende."
BücherDJs und Selfpublisher: Manchmal sucht man ja nach einem azurblauen Kochbuch, das dem Regal in der heimischen Küche den passenden sommerlichen Tupfer verleiht. Mit dem "BücherDJ" kein Problem: Dank beweglicher Drehknöpfe zum Navigieren erhält der Kunde im Nu auf einem großen Bildschirm die Farben von Buch-Covern jeglicher Art ausgespuckt. Mit der vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels entwickelten Suchmaschine kann der Käufer wie ein DJ am Plattenteller sein eigenes "Hit-Menü" zusammenstellen. Bei dem am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellten Gerät handelt es sich um einen Prototyp, der so nie in die Läden kommen wird.
Dennoch: Der stationäre Buchhändler, vom Internethandel immer schärfer bedrängt, könnte mit dem "BücherDJ" für seine Kundschaft auf spezielle Events ausgerichtete Bücherprogramme zusammenstellen. Der Leser soll es bei der Suche nach seinen persönlichen Vorlieben angesichts der Titelflut einfacher haben. Dem dient auch die ebenfalls vom MVB entwickelte Vorschau vlbTIX, in der jeder Buchhändler sofort detaillierte Infos über 2,5 Millionen verfügbare Titel finden kann. Auch dem Normalleser steht diese Datenbank kostenlos zur Verfügung.
Der Dachverband der Buchbranche springt auf einen weiteren Zug auf, der die gesamte Branche verändert: Immer mehr Menschen werden auch ohne Verlag zu Autoren - mit hochprofessionell produzierten Büchern, was angesichts der ausgefeilten Software heute kein Problem mehr ist. Rund 1300 Bücher dieser Art stellt der Börsenverein aus - 99 Euro zahlt jeder Autor, der damit auf viel Aufmerksamkeit hofft. Auf der Messe vergibt der Verband außerdem zum ersten Mal einen Preis für Self-Publisher.
"Wir wollen diesen Autoren den Weg in den Buchhandel eröffnen", sagt Schild. Das wollen auch Dienstleister wie Book on Demand (BoD), die sich seit Jahren ebenfalls um diese Autoren kümmern. Beim immer härter werdenden Buhlen um den Leser sieht Geschäftsführer Gerd Robertz einen Trend zu "Hybrid-Autoren", die zwischen Verlagen und Selbstvermarktung pendeln.
Dazu gehört die Bloggerin und Autorin Carin Müller, die bei einem großen Verlag ein Buch über die Alzheimer-Krankheit veröffentlicht hat. Ihre eigenen Romane setzte sie zuerst über Amazon ab, das seit langem eine erfolgreiche funktionierende Self-Publishing-Plattform hat. Diese funktioniert aber nur über Amazon. Inzwischen vertreibt Müller ihre Bücher über andere Kanäle - und hat es auch in einige Buchläden geschafft.
Über die sozialen Netzwerke wie Facebook versucht sie, mit ihren Blogs eine Fangemeinde aufzubauen. So hat sie gerne über das Leben mit ihrem Hund geschrieben, um Leute für sich zu gewinnen. Aber: "Die Leidensfähigkeit eines Self-Publisher ist enorm hoch", weiß sie aus eigener Erfahrung.

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