Von der Knechtschaft der Affekte

Trier · Mit der Macht menschlicher Leidenschaften und ihren Folgen beschäftigt sich die nächste Produktion der Sparte Tanztheater am Theater Trier. Als "Hommage à Dore Hoyer" ist sie gleichermaßen eine Verbeugung vor dem Werk einer großen Tänzerin und Choreographin wie dessen Weiterentwicklung.

 Eine Szene aus Hommage à Dore Hoyer. Foto: Oliver Look

Eine Szene aus Hommage à Dore Hoyer. Foto: Oliver Look

Foto: Eva-Maria Reuther (er) ("TV-Upload Reuther"

Trier. Die menschliche Wirklichkeit ist eine Welt beherrschter und nicht beherrschter Affekte. So könnte man kurz Baruch de Spinozas "Ethik" auf den Punkt bringen. Der niederländische Philosoph mit den portugiesischen Wuzeln kannte sich gut aus mit den menschlichen Leidenschaften und ihrer Macht. "Die Unfähigkeit des Menschen, seine Affekte zu zügeln, nenne ich Knechtschaft", stellte der einsame Gelehrte aus Den Haag fest. Für den zukunftsweisenden Denker des 17. Jahrhunderts war es klar, dass sich der Mensch mit Hilfe seiner Vernunft aus dieser Abhängigkeit befreien musste. Mehr noch: Er sollte seine Affekte nutzen, um eine lebenswerte Welt zu gestalten. Spinozas Ethik und seine Affektenlehre sind bis heute aktuell. Wenige Jahre vor ihrem Tod 1967 hat die Ausdruckstänzerin und Choreographin Dore Hoyer Spinozas Ethik zur Grundlage einer Tanzproduktion gemacht. Ihre 1962 uraufgeführte Choreographie "Affectus Humanos" setzt sich tänzerisch mit den Affekten "Eitelkeit"," Begierde", "Angst" , "Hass" und "Liebe" auseinander. Die 1911 in Dresden geborene Künstlerin, die mit der legendären Mary Wigman arbeitete und eine Zeit lang Ballettchefin der Hamburger Staatsoper war, gilt als eine der wichtigsten Ausdruckstänzerinnen.
Seit den 90er Jahren hat sich Susanne Linke, die Hoyer im Mary-Wigman-Studio in Berlin kennenlernte, mit Hoyers "Affekten" tänzerisch auseinandergesetzt und sie rekonstruiert. Allerdings blieb es nicht bei der Rückschau: Unter dem Titel "Effekte" hat die Tänzerin und Choreographin weitergedacht und in die Gegenwart transportiert, was die Herrschaft der Affekte bewirkt. In Trier ist die Choreographie jetzt als "Hommage à Dore Hoyer" und nächste Produktion der Sparte Tanztheater zu sehen.
Mit Dore Hoyer empfindet Linke eine tiefe Verbundenheit. "Sie war mein großes Vorbild. Wegen ihr bin ich Tänzerin geworden", sagt die vielfach ausgezeichnete Künstlerin. "Als ich sie das erste Mal tanzen sah, dachte ich, so will ich auch werden", schwärmt die schmale Frau, die mit Hoyer fraglos die Willensstärke und das Ausnahmetalent gemeinsam hat.
"Dore Hoyer war eine ungeheuer starke Persönlichkeit mit einer unglaublichen Ausstrahlung", erinnert sich Linke. Die wirkt, ebenso wie die Folgen von Spinozas "Affekten", bis heute fort. Der Philosoph behält auch in Linkes "Effekten" recht. Was die ungehemmten Leidenschaften bewirken, ist weithin unerfreulich. In den "Effekten" der Berlinerin herrscht Endzeitstimmung. "Die Verhältnisse in der Welt sind ja auch so bedrohlich", erklärt Linke, "gerade in dieser Zeit". Was hat Theater über Sprache, Bild, Bewegung und Klang zu leisten? Die Frage ist in Trier aktueller denn je.
Ganz sicher einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit allgemein menschlichen wie aktuellen Problemen der Gegenwart. Linkes "Hommage à Dore Hoyer" lässt über die Verneigung vor einer verehrten Lehrerin hinaus genau diese Auseinandersetzung erwarten. Mit der jungen Company Susanne Linke dürften zudem Energie und Frische garantiert sein.
Premiere: 26.11., 19.30 Uhr, Theater Trier, Großes Haus
Weitere Termine: 26., 29. und 30. November, 13., 20. und 27. Januar und 25. März.

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