Von Männern in zwickenden Anzügen

Echternach · Was ist Moral? Und warum verhalten wir uns häufig so auffällig unmoralisch? Über Fragen wie diese hat der Schriftsteller Richard David Precht mit seinen Zuhörern im Trifolion in Echternach philosophiert. Sein Vortrag war Teil der Reihe "Horizonte", die sich diesmal mit dem Wesen des Menschen befasst.

 Sein Anzug sitzt perfekt: Richard David Precht signiert im Trifolion Echternach Bücher für seine Fans. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Sein Anzug sitzt perfekt: Richard David Precht signiert im Trifolion Echternach Bücher für seine Fans. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Echternach. Talkshows seien heute die Bretter, die die Welt bedeuteten, sagt er. Auf denen ist Richard David Precht fraglos ein Star. Der Philosoph und Buchautor, der ausgezogen ist, die Philosophie schon vor Mitternacht fernsehtauglich zu machen, ist auch in Echternach als der große Welterklärer zugange, vor allem aber als Entertainer. Nach dem Motto "Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele" (der Buchtitel, mit dem er uns laut Elke Heidenreich glücklich gemacht hat) steht er unten im Saal des Trifolions.
Diesmal sitzen die Zuhörer nicht nur auf den aufsteigenden Rängen, sondern auch in mehreren Reihen unten rechts und links auf der Bühne, was den Eindruck einer Manege erweckt. In deren Mitte steht Precht und verhandelt die philosophische Sache der Moral, und warum wir uns häufig so auffällig unmoralisch verhalten.
Dabei bleibt er immer derselbe mit leichten Variationen. Ein pausenloser Schnellredner, wortgewandt, meistens witzig und deutlich sendungsbewusst. Ein paar Klischees dürfen es da schon sein.
Die Philosophen (wir ahnten es dunkel) sind nach Precht weltferne Männer in schlecht sitzenden Anzügen. Prechts Anzug sitzt beruhigend gut, und auch seine Schuhe bestätigen, dass er nicht aus der Welt, sondern modisch informiert ist. Später erfahren die Zuhörer dann noch, dass Frauen schöne, reiche und athletische Männer bevorzugen, die aber leider nichts mit Reproduktion am Hut haben. Weshalb die Damenwelt zwecks Nachkommenschaft auf Softis mit Sinn fürs Häusliche zurückgreifen muss und lebenslang unzufrieden ist. Hatten wir schon befürchtet, seit wir wissen, dass Helden ungern Mülleimer heruntertragen oder mit den Kindern zum Zahnarzt gehen.
Denken sei eine schwierige, zeitraubende Arbeit, räumt der Philosoph immerhin ein, den meisten bleibe es erspart. Auch im Trifolion wird man an diesem Abend nicht überfordert. Was die Frage nach der menschlichen Moral angeht, so hat Precht die nach über einer Stunde Monolog geklärt. Was Moral ist, entscheiden die Umstände, so sein Fazit. Soll heißen, wer sich ständig betrogen fühlt, betrügt auch. Wer von der Wahrheit Ungemach erwarten muss, lügt lieber. Wer Massendruck spürt, gibt ihm nach, auch wenn er Unrecht tut und so fort.
Unterhaltsam, aber nicht neu


Auch das ist als Erfahrungswert nichts Neues. "Erst kommt das Fressen, dann die Moral", erkannte schon Bert Brecht. Fragwürdig wird es allerdings, wenn Precht seine Erkenntnis begründet. Dazu greift er einzig auf Ergebnisse der Verhaltensforschung und der Gehirnforschung zurück.
Ersteres nimmt sich aus wie ein Rückfall in die Frühzeit des Behaviorismus. Was das Gehirn angeht, so sind die präsentierten Phänomene wie die Funktion der Spiegelneuronen (der Nervenzellen, die vereinfacht gesagt Vorstellungen ermöglichen) längst nicht gesichert. Zudem erklärt Tierverhalten nicht ohne weiteres die Motivation von Menschen mit ihrer kulturell bedingten Sinngebung. Unterhaltsam ist der Mann ohne Frage, denkt man beim Heimgehen und sehnt sich ein bisschen nach den Männern in schlecht sitzenden Anzügen.

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