Requiem Von menschlichem Leid und menschlicher Größe im Trierer Dom

Trier · Die Requiem-Kompositionen von Joachim Reidenbach und Johannes Brahms begeistern im Trierer Dom 1300 Zuhörer. Das Konzert war ein Kooperationsprojekt zwischen DOMmusik und Mosel Musikfestival.

 Bei der Aufführung von Joachim Reidenbachs „Requiem aeternam“ und dem Brahms-Requiem im Trierer Dom begeisterte unter anderem auch die Sopranistin Réka Kristóf (oben) und der Bassbariton Kresimir Strazanac (unten).

Bei der Aufführung von Joachim Reidenbachs „Requiem aeternam“ und dem Brahms-Requiem im Trierer Dom begeisterte unter anderem auch die Sopranistin Réka Kristóf (oben) und der Bassbariton Kresimir Strazanac (unten).

Foto: Sebastian J. Schwarz/sjs / Sebastian J. Schwarz

Gleich zu Beginn öffnet sich ein faszinierendes Klangbild. Über fünf Oktaven hinweg bauen Kontrabass in tiefster und Flöten in höchster Lage einen zarten und doch deutlichen Klangrahmen. Und wenn dann Dirigent Thomas Kiefer den  Trierer Philharmonikern, dem Domchor, dem Kathedraljugendchor und dem Wiener Kirchenmusik-Chor Einsätze gibt, dann ist es, als würde sich dieser Rahmen füllen.

Als würde nach dem ätherischen Beginn Joachim Reidenbachs „Requiem aeternam“ mehr und mehr Farbe und Fülle gewinnen. Auf einem ersten Höhepunkt stimmen dann die Röhrenglocken das viertönige Motiv g-a-b-e, „GABI“,  an, und dessen Varianten dazu. Es liegt ein sorgfältig disponierter, runder und warmer Klang in dieser Einleitung, etwas würdig Trauerndes und zugleich sehr Persönliches.

Joachim Reidenbachs Requiem-Komposition ist kein liturgisches Werk und hat nur stellenweise sinfonische Züge. Im Mittelpunkt steht das Schicksal einer Sterbenden – ihre Hoffnungen und ihre Ängste, ihre Verzweiflung, ihr Aufbegehren gegen den nahen Tod.

Wenn Barbara Ullmann deutlich und emotionsstark aus dem Alten Testament und aus moderner Lyrik liest, wenn der Chor den Sprechtext aufgreift und ihn seinerseits deklamiert, wenn Reidenbach in seine Komposition ein Bach-Präludium und Choräle des 17. Jahrhunderts einbezieht, dann hat all das nur ein Ziel: Im Konflikt mit dem fernen Gott Menschlichkeit zu beschwören, so wie Hiob, der junge Luther und  die vielen Tausenden Betenden in Krieg, Verfolgung und Zerstörung.

Und zugleich zu bekräftigen, dass Menschen gerade dann Größe zeigen können, wenn sie mit ihrem Gott hadern, weil sie seine harte, ungnädige Hand spüren. Die Briefe der Verstorbenen, aus denen Reidenbach zitiert, sie haben für das Werk eine Schlüsselfunktion. Mit ihnen erhält die uralte Totenmesse eine neue, beklemmende Gegenwärtigkeit.

Reidenbach hat sein Requiem als „Opus magnum“ konzipiert, als Hauptwerk – groß besetzt und anspruchsvoll für alle Interpreten und für die gut 1300 Besucher im Trierer Dom. Reidenbachs Musik beschwört nicht stille Trauer, sondern Nachdenklichkeit und Aufbegehren. Ob dazu die zitierten Barock-Choräle mit ihrer gutbürgerlichen Frömmigkeit die richtige Wahl waren, mag ungeklärt sein, und ob die Bach-Paraphrase trotz Reidenbachs geschickter Anpassung mehr sein kann als ein gekonnt integriertes Zitat, muss gleichfalls offenbleiben. Aber die Bibeltexte, die Texte moderner Autoren und die Briefe der Verstorbenen, sie fügen sich bruchlos ein in die Musik. Sie sprechen aus, was an Reidenbachs Requiem so bewegt: die  Spannweite zwischen Ergebung und verzweifeltem Aufschrei. So heftig trumpfen Chor und Orchester dann auf, dass die exzellente Solo-Sopranistin  Réka Kristóf ihre gesamte sängerische Standfestigkeit aufbieten muss, um nicht unterzugehen im starken Gesamtklang.

Und doch: Am schönsten am eindringlichsten sind alle die Momente, in denen sich Joachim Reidenbach ganz auf seine Kreativität verlässt. In denen er nicht zitierend als Sachwalter der Vergangenheit erscheint, sondern in die Zukunft schaut – die Zukunft seines Komponierens.

Die wunderbaren, geringstimmigen Instrumental-Miniaturen im zweiten Abschnitt seines Requiem sind Teil dieser Perspektive, oder auch die eindringliche Psalmvertonung „Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir“. Wie viel Sensibilität bringt der dreiköpfige Fernchor (Mechthild Rommelspacher, Christina Elting, Noriko Kaneko) mit, wie viel Reinheit in Klang und Harmonik! Und wie sie begonnen hat, so endet auch Reidenbachs Komposition  – schlicht und eindringlich mit dem nur leicht modifizierten Bild vom Klangrahmen und dessen vorsichtiger Ergänzung.

Übergroße Nähe ist in Kunst und Leben hinderlich. Aber der historische und stilistische Abstand von Reidenbach zum „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms ist so groß, dass auch bei Aufführung in nur einem Konzert keine Konflikte drohen.

Zumal Thomas Kiefer mit Chor, Orchester und Solisten auf das ganz andere der Brahms-Vertonung abhoben – auf den Spannungsbogen zwischen milder Ergebung und religiöser Emphase. Die Dynamik mit ihren zahlreichen Laut-leise-Übergängen realisiert der Dirigent trotz des großen Apparats überzeugend. Réka Kristóf liefert auch in den heiklen Sopran-Höhen eine Glanzpartie, und Kresimir Strazanac, kurzfristig eingesprungen für Franz Grundheber,  verbindet eindringlich Klangkultur und Markanz.

 03.11.2019, Dom, Trier, GER, Aufführung, Joachim Reidenbachs Requiem aeternam und Brahms-Requiem, im Bild Krešimir Stražanac (Baßbariton)   Foto © Sebastian J. Schwarz

03.11.2019, Dom, Trier, GER, Aufführung, Joachim Reidenbachs Requiem aeternam und Brahms-Requiem, im Bild Krešimir Stražanac (Baßbariton) Foto © Sebastian J. Schwarz

Foto: Sebastian J. Schwarz/sjs / Sebastian J. Schwarz

Und der Chor, der schon bei Reidenbach hellwach und präsent war, gab Brahms’ Klangglanz und Gefühlsstärke mit. Begeisterung im Publikum – für alle Interpreten und vor allem für Joachim Reidenbach.

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