Künstler Joseph Beuys Künstlerischer Aufruhr für eine bessere Welt
Düsseldorf/Trier · Schon vor über 50 Jahren sorgte Joseph Beuys auch in Trier mit seiner Kunst und seiner Idee von der sozialen Plastik für gewaltigen Aufruhr. Bis heute bleibt die Erinnerung dort an den niederrheinischen Künstler, der auch eine enge Verbindung nach Weißenseifen (Kreis Vulkaneifel) unterhielt.
Trotz seiner unbestrittenen Bedeutung für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: Kein Bildender Künstler polarisiert bis heute wohl so wie Joseph Beuys. Während ihn die einen wie den Propheten einer besseren Welt verehren, attackieren ihn seine Gegner als Scharlatan und Wegbereiter des Dilettantismus in der Bildenden Kunst. Wo er zu Lebzeiten auftrat, sorgte der niederrheinische Meister für heftige Kontroversen und Feindseligkeiten bis hin zu Todesdrohungen.
Recht konnte es der Erfinder des „erweiterten Kunstbegriffs“ kaum jemand machen. Linken war er nicht radikal genug. Dem wertkonservativen Bildungsbürgertum galt er als Werte Vernichter. Für gewaltigen Aufruhr sorgte der Aktionskünstler, vor gut einem halben Jahrhundert auch in Trier. Doch dazu später. 100 Jahre wäre Joseph Beuys in diesem Jahr geworden. Wie alle Kunst kommt auch die des Aktionskünstlers, Bildhauers und Kunsttheoretikers Beuys aus ihrer Zeit. Sie ist kaum denkbar ohne die apokalyptische Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, ohne Wirtschaftswunder und die gesellschaftlichen Revolten der 60er Jahre und ihre basisdemokratischen Vorstöße. Auf all das reagiert Beuys’ bisweilen esoterisch-anthroposophische Kunst mit ihrem Hang zu Mystik und Mysterium ebenso wie auf die geistesgeschichtlichen Strömungen des Existenzialismus und Nihilismus und ihren Befund sozialer Kälte und Sinnlosigkeit.
„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Auf den Halbsatz eines weit komplexeren Sinnzusammenhangs wird Beuys bis heute vielerorts reduziert. Dabei ging es dem Professor der Düsseldorfer Kunstakademie nicht um die Nivellierung des Kunstbegriffs und künstlerischer Kompetenz, sondern um die Freiheit und das Recht jedes Menschen, an der Gestaltung der Wirklichkeit und ihrer Gemeinwesen teilzuhaben. „Wenn ich vom erweiterten Kunstbegriff spreche und sage, jeder ist ein Künstler“ – so das vollständige Zitat – stelle ich ganz klar in Rechnung, daß dieses eines der wichtigsten Gestaltungsmomente der Menschen ist – aus der Freiheit, also aus der Kreativität, aus der Schöpferkraft aller Menschen es zu einer demokratischen Verfassung kommen zu lassen.“
Was manchem in der Kunsttheorie des Mitbegründers der Partei „Die Grünen“ umstürzlerisch erschien, steht im Grunde in einer uralten geistesgeschichtlichen Tradition. Beuys’ Weltbild ist ein kosmologisches, wie es bereits die Antike kannte, die Vorstellung von einem natürlichen, gleichberechtigten Universum, in dem der Mensch ein „Urtier“ (Beuys) ist.
Wie die Romantik erkennt auch der von der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners wie vom rheinischen Katholizismus beeinflusste Künstler in der Natur die Weltseele und setzt auf die instinktsichere Intuitionskraft von Tieren. Einmal mehr nimmt er die antike ganzheitliche Vorstellung vom Menschen auf, wenn er in seiner „Weltformel“ (wie sein Schüler Johannes Stüttgen das nennt) in der Kunst die Verbindung von Geist, emotionaler Wärme und Dialogfähigkeit anstrebt.
Beuys’ Kunst steht mit seinen Aktionen im Dienst einer besseren Welt. (Auch das darf man als traditionell ansehen.) Die soziale Plastik, soll heißen die Gemeinschaftsleistung von Künstlern und Gesellschaft ist ihm dabei das wichtigste Mittel. Auch damals in Trier 1969, als der Hochschullehrer mit seiner Klasse im Simeonstift zu einer Studentenausstellung mit Aktion anrückte, die nach Zeitzeugenberichten in der Stadt eine Kunstkontroverse auslöste, wie es sie seitdem in der Bildenden Kunst dort nicht mehr gab.
Eingeladen zu dieser „Fahrt ins Blaue“, die retrospektiv als Mischung aus Blumenkinder-Romantik, Gesellschaftskritik und Heilsvision schon fast gemütlich wirkt, hatte der aufgeschlossene Direktor des Museums Curt Schweicher. Unter den Studenten war spätere Kunstprominenz wie Katharina Sieverding, Johannes Stüttgen, Jörg Immendorf und Imi Knöbel. Es sei gerammelt voll gewesen, erinnert sich der Trierer Maler Manfred Freitag, der ebenfalls zugegen war.
Schnell hatten die anwesenden Schüler eines Trierer Gymnasiums Beuys in eine Kunstdiskussion verwickelt. Die Empörung war, wie Zeitzeugen berichten, groß, als Jörg Immendorf begonnen habe, ein Loch in die historische Mauer des Saals zu schlagen. Vorher hatte man bereits begonnen, den Eingang zuzumauern. Klar doch: Die Kunst musste raus aus ihrem heiligen Gral in die Realität. „Ich habe das als Provokation empfunden“, erinnert sich Manfred Freitag. Wohl auch andere. Jedenfalls verließen die Anhänger traditioneller Kunst unter wildem Protest das Haus.
Aufgebrachte Jugendliche zerstörten Teile der Ausstellung, wie Katharina Sieverding in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet. In guter Erinnerung hat die Trierer Künstlerin und ehemalige Kulturpolitikerin Waltraud Jammers gerade die Ausstellung. „Die Atmosphäre war anfangs heiter und erwartungsfroh“ sagt die einstige Vorsitzende der Gesellschaft für Bildende Kunst. Etwas erstaunt sei man gewesen, beim Eingang über eine Reihe Mauersteine zu steigen. Eifrig habe Katharina Sieverding auf der Nähmaschine jede Menge Heilige Mini-Röcke genäht. Für Ratlosigkeit habe zudem ein Wasserbecken gesorgt und ein in einem Blütenkranz schlummernder junger Mann.
Der Aufruhr dauerte über die Eröffnung an. „In der Stadt war man außer sich vor Empörung“ erinnert sich der Maler und Keramiker Ulrich Lebenstedt. Ganz Unversöhnliche forderten – so wird berichtet – den unverzüglichen Rücktritt des während der Aktion aushäusigen Museumsdirektors und sogar des Kulturdezernenten.
Die Leserbriefe füllten wochenlang ganze Waschkörbe. Selbst an der Akademie in Düsseldorf verfolgte man den Tumult, wie Stüttgen in einem Buch berichtet. In Trier war offensichtlich Beuys künstlerische Selbstermächtigung „Die Revolution sind wir“ Realität geworden.
Nicht immer ging es so stürmisch zu wenn der niederrheinische Meister in der Region unterwegs war. Enge Kontakte hielt er zu seinen einstigen Kommilitonen aus der Künstlersiedlung Weißenseifen (Kreis Vulkaneifel), dem Bildhauer Günther Mancke und seiner Frau sowie zu Antonia Berning. Er sei ihr immer ein treuer Freund gewesen, der ihr sogar beim Umzug geholfen habe, erinnerte sich die verstorbene Malerin zeitlebens gern. Zeitweise habe er sogar geplant, sich in der anthroposophischen Künstlerkolonie niederzulassen. „Es war eine Freundschaft von Gleichgesinnten“, berichtet der im vorigen Jahr verstorbene Mancke in einem historischen SWR-Beitrag. Gemeinsam habe man Wanderungen in der Eifellandschaft unternommen.
Groß sei Beuys Liebe zur Natur gewesen. Eine plötzlich wahrgenommene Pflanze wie der Sonnentau habe ihn fesseln können, erzählen der Bildhauer und seine Frau im selben Beitrag. Überhaupt blieb Beuys präsent. In einer Kooperation mit der Kölner Galerie Werner Klein würdigte 2005 die Trierer Gesellschaft für Bildende Kunst die Aktion von 1969 und den Künstler, Vertreten war Beuys zudem 2012 in der Ausstellung der Tufa zur Heilig-Rock Wallfahrt. Ein Kurzfilm im Stadtmuseum Simeonstift dokumentiert die Aktion überdies.
Was bleibt sonst: In einer postmodernen Welt, in der Umweltzerstörung und Klimakatastrophe düstere Dystopien erzeugen, Maschinen Menschen zu verdrängen drohen und postkapitalistische Verwerfungen für Gewalt und Unrecht sorgen, ist Beuys’ Forderung nach dem Respekt vor der Natur und nach einer demokratischen humanen Welt, an deren Verwirklichung sich jedermann im Sinne einer sozialen Plastik beteiligen muss, aktuell wie eh und je. Nicht geschafft hat Beuys die angestrebte Überwindung einer elitären Kunstszene und ihres Markts. Längst ist sein Werk inzwischen zu dessen hochgehandelter Ware avanciert.