Wanderer zwischen musikalischen Welten

Jon Lord gehörte zu den einflussreichsten Künstlern der Rockmusik in den 70er Jahren, setzte kraftvoll Wegmarken zwischen Blues, Hardrock und Klassik, ließ sich nie in eine Schablone pressen und eröffnete Wege für neue Genres. Einer, der immer für Veränderungen offen war - und so die Musik veränderte.

Von welchem Jon Lord soll eigentlich die Rede sein? Von dem klassisch ausgebildeten Pianisten, der 1969 "April" schrieb, eine Suite für Kammerorchester und Beatband? Von dem begnadeten Songschreiber, der mit "Child in Time" eine jener Rockballaden hinterließ, die mit nur drei Basis-Akkorden einen Platz im ewigen Rock \'n\' Roll-Himmel ergatterten?
Von dem Avantgardisten, der auf dem Live-Album "Made in Japan" seine Band Deep Purple bei "Space Truckin" mittels seiner Hammondorgel in einen experimentellen Vollrausch trieb, der einen Karl-Heinz Stockhausen vor Neid erblassen ließ? Von dem gereiften Crossover-Komponisten, der nach dem Ende von Deep Purple mit leichter Hand Grenzen zwischen musikalischen Genres wegwischte, ohne jemals in Pop-Seichtigkeiten abzugleiten? Oder von dem erdigen Bluesmusiker, der in den letzten Jahren mit kongenialen Freunden durch kleine Säle zog, um noch einmal ganz aus der Nähe zu spüren, wie seine Musik auf Menschen wirkte?
Jeder Versuch, Jon Lord auf einen einzelnen Nenner zu bringen, würde ihm nicht gerecht. Sein Talent als Komponist und Key boarder ergab völlig unterschiedliche Effekte, je nachdem, mit wem er sie kombinierte.
Die geniale Periode von Deep Purple entstand aus der ebenso gnaden- wie atemlosen Auseinandersetzung des orchestralen Kopfes Jon Lord mit dem virtuosen Handwerker Ritchie Blackmore an der Gitarre. Zwei auf höchst unterschiedliche Weise geniale Musiker, deren zeitweiliges Bündnis den Hardrock und die daraus entstehenden Musikrichtungen erst ermöglicht hat.
Spielte Jon Lord mit Sinfonieorchestern, konnte er fantastische melodische Girlanden in große Arrangements binden. Mit Musikern wie Colin Hodgkinson und Pete York zelebrierte er einen enorm erdigen Blues, deftige Schweineorgel inklusive. Er war vergangenes Jahr gerade dabei, eine Deutschland-Tour mit seinem Blues-Project anzutreten, als ihn der Bauchspeicheldrüsenkrebs stoppte.
100 Millionen Tonträger haben Jon Lord und Deep Purple verkauft - ohne ihre Musik in irgendeiner Weise für die Charts zuzurichten. Allerdings dauerte ihre wirklich produktive Phase als Band nur wenige Jahre. Das Potenzial von Jon Lord war damit freilich nicht ausgeschöpft, so wenig wie durch mancherlei Revivals in unterschiedlichen Besetzungen. Das zeigt sein großes "Alterswerk", ein 2004 in Köln aufgezeichnetes Livekonzert mit kleinem Orchester und grandiosen Gastmusikern, darunter Sänger wie Miller Anderson, Sam Browne und Abbas Frida Lyngstad. "Beyond the Notes" heißt es. Passend für einen, dessen Musik weit über das hinausreicht, was auf den Notenlinien steht.

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