Warten aufs Christkind

TRIER. Das ideale Alternativ-Programm zum nahenden Fest boten Sänger Michael Kiessling und seine Mitstreiter von der Bukowski/Waits-Revue im Trierer Walderdorff's: "Fiese Weihnacht" lautete die Devise im ausverkauften Haus.

Was für ein Aufmarsch: Marie Gruber als schriller Engel mit goldenem Anorak, kurzem Rock und weißen Flügeln, Michael Kiessling und die Jungs von der Band mit roten Zipfelmützen überm pechschwarzen Dress. Kiesslings Stimme klingt immer noch so rau und erdig wie die unverputzten Wände des Gewölbekellers im Palais, und Gruber berlinert die biblische Weihnachtsgeschichte zum Steinerweichen. "Jingle Bells" zum Auftakt, dann "White Christmas", da fragt sich der geneigte Besucher schon langsam, wo das versprochene "Fiese" eigentlich bleibt. Irgendwann merkt er dann, dass Kiessling die Sache mit dem "Snow" zur weißen Weihnacht ganz anders interpretiert als Bing Crosby, und dass sein dauerndes Schniefen nicht von einer Erkältung kommt, sondern von dem komischen weißen Pulver, das auf einem Beistelltischchen liegt. Und plötzlich, so ganz nebenbei, erhält auch die leuchtende Nase von "Rudolf, dem Rentier" eine ganz neue Bedeutung. Die Revue "Fiese Weihnacht" kriecht unterschwellig ins Hirn und kratzt eher verhalten an der jahreszeitlich bedingten Besinnlichkeit. Statt der brachialen Stilistikvon Hausdichter Charles Bukowski dominiert die Satire. Mamas, die wegen Weihnachtsstress nicht mehr ins Fitnesscenter kommen, Papas, die nach sechsstündiger Einkaufstortur vom Herzinfarkt erlöst werden, Kinder, die heiligabendliche Mordgelüste an der ganzen Familie entwickeln, Kardinäle, die beim Festtagsschmaus genüsslich gebratenen Täubchen die Knochen brechen: Marie Grubers Darstellungskunst lässt ein ganzes Panoptikum von Figuren lebendig werden. Und ein übers andere Mal geht beim Publikum das Amüsement einher mit der Erkenntnis, dass Satire und Alltag gar nicht so weit auseinander liegen, vor allem bei den köstlichen Kurzgeschichten von Gerlis Zillgens über die neunjährige Anna und ihre Weihnachts-Erfahrungen.Unsägliches wird sehr erträglich

Derweil koppelt Michael Kiessling skurrile Interpretationen von klassischem Weihnachtsliedgut mit Preziosen von Tom Waits. Vielleicht ist die Idee zu der ganzen Revue ja entstanden, weil er irgendwann die berühmte Raubkopie von Waits‘ legendärem Live-Auftritt mit "Silent Night" gehört hat. Kunstvoll packt der Sänger zusammen, was auf den ersten Blick ganz und gar nicht zusammen gehört: Die "Stille Nacht" und die Weihnachtspostkarte einer Hure aus Minneapolis, "Innocent when you dream" und "Merry Christmas", "Jersey Girl" und "Santa Claus is coming back to town". Das wird nicht einfach gespielt, das wird filigran verwoben, auch dank der geschmackssicheren Arrangements von Keyboarder Matthias Behrsing und Bassist Jens Saleh. Und so interpretiert, werden selbst die unsäglichstender vielen unsäglichen Weihnachts-Pop-Schlager wie Whams "Last Christmas" halbwegs erträglich. Als Zugabe gibt's Tom Traubert's Blues, und das ist nun wirklich nicht mehr zu steigern. Man geht nach Hause mit einem Wunsch im Hinterkopf: Dieses Programm gehört ins Fernsehen, Heiligabendnachmittag. Motto: Wir warten aufs Christkind.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort