Warum ist es am Rhein so schön?

Bonn · Der Rhein als Bilderstrom: Diese Doppeldeutigkeit macht sich eine Schau zunutze, die in der Bundeskunsthalle zu sehen ist. Fotografien aus mehr als 160 Jahren dokumentieren Eindrücke, die den Rhein - mehr noch: das Bild, das sich jeder von ihm macht - bis heute prägen.

Bonn. Was haben Marlene Dietrich und der Rhein gemeinsam? Beide sind "zu Tode fotografiert worden", schrieb 1995 der Kurator Klaus Honnef anlässlich einer Kölner Ausstellung über den Fluss, der wie keine zweite europäische Wasserstraße mit Mythen und Sagen geradezu vollgestopft ist. Von Heinrich Heine ("Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...") bis Willy Ostermann ("Einmal am Rhein ..."), von Hoffmann von Fallersleben ("Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald") bis zum (nationalsozialistisch missbrauchten) Max Schneckenburger ("Die Wacht am Rhein"), nicht zu vergessen die zahlreichen Lieder für (Männer-)Chöre ("Warum ist es am Rhein so schön?"), reichen die musikalischen Lobpreisungen über "Vater Rhein", einem der wenigen "männlichen" Flüsse. Schlösser säumen ihn, Ritter, Drachen und Heinzelmännchen tragen zu seinem sagenumwobenen Charakter bei, und auch als historischer Zeitzeuge hat er seine Rolle gespielt: Als "Schicksalsfluss" war er erst Grenze zwischen zwei "Erbfeinden" und ist seit mehr als 70 Jahren ein Symbol der Verbundenheit zwischen Deutschland und Frankreich.
Romantik und Industrie


Bei der Erwähnung seines Namens ziehen bei jedem bestimmte Impressionen am geistigen Auge vorbei, die sich in zwei Schubladen sortieren lassen: Zum einen sind es die Bilder, die seit der Entdeckung des Flusses durch die Romantiker in unzähligen Varianten immer wieder gezeichnet, gemalt, fotografiert wurden und Millionen, mittlerweile vielleicht sogar Milliarden Touristen an seine Ufer zogen. Zum anderen sind es die dokumentarischen Zeugnisse einer Industrielandschaft, die bei Leverkusen beginnt, in und um Duisburg ihren Höhepunkt findet und den Rhein als wichtige Wirtschaftsader darstellen.
Die Zeitreise im zur Ausstellung erschienenen Katalog beginnt in der Gegenwart; der Fluss ist also noch weitere 20 Jahre "zu Tode fotografiert" worden - und es gibt durchaus noch Neues, Interessantes und Ungewöhnliches zu entdecken: Bernd Hoffs wie eine Märklinlandschaft wirkende Serie "Der Strom" (2013-2015), winterliche Nebelimpressionen von Michael Lange oder ein in seiner bildlichen Wucht, als wär's ein Stück von Caspar David Friedrich, in Schwarz-Weiß sich aufbäumender "Wasserfall des Rheins" bei Schaffhausen von Barbara Klemm.
Wein, Weib und Gesang


Es gibt die typischen "Sonntagsausflugsfotos" etwa von Bernd Arnold ("Warum ist es am Rhein so schön?" mit weintrinkenden Damen, die vielleicht ein Kegelclub sind, eisschleckenden Flaneuren oder Grillfreunden am Ufer. Dokumentiert wird der sommerliche Massenandrang an der Loreley, und Henri Cartier-Bresson entdeckte Mitte des vorigen Jahrhunderts die Rheinschiffer als Motiv, die auch Joachim Schumachers Interesse weckten ("Amazone", 1982). Friedrich Seidenstücker hielt den Fluss als eisige Polarlandschaft fest (seit den 1920er Jahren haben sich nie mehr derlei wuchtige Eisbrocken zwischen den Ufern verhakt). Selbst als homoerotisch grundierte Kulisse tritt der Rhein auf in den Bildern von Herbert List, der 1929 an seinem Ufer fast nackte Knaben ablichtete.
Grün und Grau - mehr nicht


Der Gang durch die Ausstellung dürfte für viele Besucher eine Rheinreise durch die eigene Erinnerung werden: Wer hat als Kind nicht auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz gestanden oder von einem der zahlreichen Ausflugsboote aus die steil ansteigenden Weinberge bestaunt (nun ja, das war vielleicht eher etwas für die Erwachsenen)? Den Fotografen gelingt es jedenfalls, den Mythos Rhein herunterzubrechen auf den Alltag sowohl auf als auch am Fluss und mit jedem Bild eine Geschichte zu erzählen, die Erinnerungen und Assoziationen auslöst.
Ein Bild, ein Foto gibt es in der Ausstellung, das den Rhein quasi "neutralisiert", ihn von allem, was ihn klischeehaft prägt, befreit: Es ist Andreas Gurkys Fotografie "Rhein II" von 1999; ein Bild, das im Grunde mit zwei Farben auskommt: dem Grün der Wiesen und dem Grau des Wassers und des Himmels. Sechs übereinandergeschichtete Streifen, die den Fluss auf die beiden Dinge reduzieren, die es braucht, um eben ein Fluss zu sein: Wasser und Ufer. Es ist, wenn man so will, der Rhein in Reinform, befreit von allem Mythischen, Historischen, Touristischem und Kitschigem. Fast schon eine Meditation. Schlicht und einfach. Und mit 3,1 Millionen Euro (so viel erzielte das Foto bei einer Auktion im Jahr 2011) das teuerste Foto, das jemals vom Rhein gemacht wurde.
Die Ausstellung ist bis zum 22. Januar 2017 in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen. Der Katalog zur Ausstellung ist im Hatje Cantz Verlag erschienen (256 Seiten, 180 Abbildungen, 29,80 Euro). Weitere Informationen: <%LINK auto="true" href="http://www.bundeskunsthalle.de" text="www.bundeskunsthalle.de" class="more"%>

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort