Was ich noch vazäälen wollt

Trier · Heinz Becker, der Kleinstadtnörgler aus dem Saarland, greift das große Ganze an. Flüchtlinge, der Islam, Hitler, Beckers Kommunion, die Ehe mit Hilde - geschickt springt er zwischen Welt- und Familiengeschichte hin und her. Am Ende gibt es aber nur einen kurzen Applaus und keine Zugabe.

Trier. Das Licht ist an, die Worte sind verstummt. Der einsame Stuhl auf der Bühne, der gerade noch von einem hellen Scheinwerfer in den Mittelpunkt der Europahalle in Trier gerückt wurde, verschwindet in der Helligkeit. Wenige Sekunden zuvor hat noch der Kabarettist, Autor und Schauspieler Gerd Dudenhöffer auf diesem Stuhl gesessen. Nur ein kurzer Applaus. Keine Zugabe. Die Show ist vorbei.
Was ist passiert in den vergangenen zwei Stunden? Der Kabarettabend beginnt so, wie es wohl die meisten der 750 Zuschauer erwartet hatten, als sie sich das doch recht teure Ticket (ab 33,80 Euro) für das neue Programm von Heinz Becker "Chronik eines Stillstandes" gekauft hatten. Mit derben Witzen und Anekdoten, bei denen das Niveau oft weit unter die Gürtellinie, bis zu den Knien und manchmal sogar bis zu den Schuhsohlen herunterrutscht. Eben genau das, was einen Abend mit Heinz Becker ausmacht.
Elegant meistert er die Sprünge zwischen seiner Schulzeit ("Bevor wir über Krieg und das ganze Zeug schwätzen, spielen wir lieber Völkerball"), der Flüchtlingskrise ("Willkommensland - ja, der Flüchtling, der will kommen" / "Ich bin doch kein Fremdenführer"), seiner Frau Hilde (mit der er sich ausgerechnet an dem Geburtstag von Adolf Hitler verlobte) und streut den ein oder anderen Witz ein: "Wo ist eigentlich Kenia - Weiß ich nicht, aber weit kann's nicht sein, der Neger, der bei uns schafft, geht mittags immer heim essen." Dabei erzählt er seine Kindheits-Ankedoten so authentisch, als wäre das alles wirklich passiert.
Das Stammtischgelaber der scheinbar zeitlosen, stets nörgelnden, kleingeistigen und stoischen Figur Heinz Becker passt perfekt in die heutige Zeit. So perfekt, dass einem das Lachen auch mal im Hals stecken bleibt. Einen wie Heinz Becker hat wohl jeder irgendwo in seiner Nachbarschaft, vor sich im Supermarkt an der Kasse stehen oder in der Kneipe am Tisch neben sich sitzen. Einer der sagt: "Man muss der Fremdenfeindlichkeit die Stirn bieten, aber es muss ja nicht gleich meine sein."
Immer wieder glänzt der Mann mit der Batschkapp mit seiner gewohnt beschränkten und bornierten Sicht auf die Welt. "Wenn der Islam angreift, schützt man sich am besten mit einem Schild um den Hals, auf dem draufsteht ‚Ich bin ein Schwein.'" Oder mit dieser Weisheit: "Ich habe Zivilcourage und der andere ein Messer. Was ist mir dann lieber? Auf der Couch zu liegen oder auf dem Friedhof?"Dudenhöffer liest Gedichte



So schön großkotzig und niveaulos hätte es weiter gehen können. Doch nach einem furios schnellen Beginn werden die Abstände zwischen den Klatschern länger.
80 Minuten lang sitzt Heinz Becker auf dem Stuhl im Lichtkegel und erzählt und erzählt. Dann verschwindet er kurz hinter der Bühne. Batschkapp aus, Brille an und plötzlich sitzt da Gerd Dudenhöffer und trägt in bestem Hochdeutsch seine Gedichte aus dem Buch "Gerd Dudenhöffer liest Dudenhöffer" vor. Das Niveau - plötzlich wieder da und wie. Das Publikum - ist wegen Heinz Becker hier. Die Illusion - kaputt.

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