Weibliche Feder in der Männerwelt

Einfach hatte es Clara Viebig nicht, als sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Karriere als Schriftstellerin startete. Trotzdem feierte sie große Erfolge mit naturalistischen Eifel- und Großstadtromanen.

 Clara Viebig mit Pferd: Lange Zeit hat die Autorin ein großbürgerliches Leben geführt. Foto: Heimatmuseum Zehlendorf

Clara Viebig mit Pferd: Lange Zeit hat die Autorin ein großbürgerliches Leben geführt. Foto: Heimatmuseum Zehlendorf

 Georg Guntermann. Foto: privat

Georg Guntermann. Foto: privat

Trier. (cmk) Die in Trier geborene Schriftstellerin Clara Viebig wäre am 17. Juli 150 Jahre alt geworden. Ein Experte in Sachen Viebig ist Professor Georg Guntermann von der Uni Trier. Sein Forschungsschwerpunkt ist die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. TV-Reporter Christian Kremer hat mit ihm über die Autorin gesprochen.

Warum sollte man heute noch Clara Viebig lesen?

Guntermann: Weil sich in ihrem Werk zahlreiche gute Bücher finden. Die beim Wiederlesen (einstweilen) immer neue Anblicke bieten. Ich nenne nur zwei Aspekte. Erinnerung an Heimat, der regionale Bezug, ist in ihrem Werk aufbewahrt. Zugleich aber wirft sie einen Blick auf jenes Neue, das sich ergibt, wenn unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten aufeinanderstoßen.

Wie erklären Sie sich den anfänglich großen Erfolg und das schnelle Vergessen, wenn es um das Werk von Clara Viebig geht?

Guntermann: Sie hat für ihre Zeit die aktuell passenden Themen und Darstellungsweisen gefunden; anders aber als ihr Kollege Gerhart Hauptmann etwa ist sie bei ihren Gegenständen und bei ihrer Schreibweise geblieben. So dass sie bald in immer größeren Abstand zu ihrer sich fortentwickelnden Umgebung geriet. Als sie starb, war es um die Dichterin längst still geworden.

Haben Sie ein persönliches Lieblingsbuch von Viebig?

Guntermann: Auch wenn es nicht sonderlich originell erscheinen mag: "Das Weiberdorf", ihr erfolgreichster Roman, aus dem Jahre 1900. Die Welt der Frauen steht für Idylle und heimatliche Natur, aber auch für deren Last; sie opponiert gegen die Welt der Männer und soll ein Gegengewicht bilden gegen die durch Motive wie Fabrikarbeit und Maschinenwesen transportierte Sozialkritik. Viebig hat damit gesellschaftliche Widersprüche am Ausgang des 19. Jahrhunderts sehr genau wiedergegeben - aber eben in einer stilisierten Form.

Wie wichtig ist die Eifel für ihr Werk?

Guntermann: Die Eifel ist einer der Lieblingsschauplätze ihres Werks, neben dem ländlichen Raum um Posen und der Kapitale Berlin - alles Stationen ihrer Vita.

Allerdings: Ihr literarisches Verfahren ist weitgehend unabhängig von der Besonderheit des jeweiligen Lokalkolorits. Sie hat in den Eifelnovellen ähnliche Strategien verfolgt wie angesichts der ganz anderen Szenerie der (Berliner) Großstadtgeschichten. Beidesmal ist sie hin- und hergerissen zwischen sozialem Antrieb der Parteinahme für die "Armen" einerseits und einer (sehr eigenen) distanzierten Beobachterrolle andererseits, die es ihr erlaubt hat, auch aus den Erscheinungsformen des Lebens in der untersten Klasse ästhetische Effekte zu erzielen.

Wie waren die Reaktionen auf Viebigs Bücher?

Guntermann: Heftige Abwehr angesichts des Gefühls, auf unvorteilhafte Weise "nach dem Leben" abgemalt worden zu sein. Spektakulär die Aufnahme ihres Romans "Das Weiberdorf", nicht nur in Eisen schmitt. Man sah sie als ,Nestbeschmutzerin' und nahm Anstoß an dem Bild, das sie zeichnete von sozialer Rückständigkeit und moralischer Verkommenheit der Verhältnisse in der Eifel. Offensichtlich ist sie selbst von der Empörung der Zeitgenossen überrascht gewesen. Solche Zusammenhänge genauer zu dokumentieren ist gewiss noch ein Desiderat der Viebig-Forschung - der die Clara Viebig-Gesellschaft in Bad Bertrich unermüdlich aufzuhelfen sucht.

War es schwer für Viebig, sich im männerdominierten Literaturbetrieb um 1900 als Frau durchzusetzen?

Guntermann: Ihre ersten Artikel in Zeitschriften und die ersten Romane hat sie unter dem Namen C. Viebig veröffentlicht. In einem Artikel mit der Überschrift "Die weibliche Feder" hat sie später erzählt, wie man ihr geraten habe, sich ein solches, männlich aussehendes Pseudonym zuzulegen: "Publikum und Redakteure hätten nun einmal ein gewisses Misstrauen gegen die weibliche Feder, besonders, wenn die Autorin noch unbekannt sei; es wäre vorteilhafter für mich, wenn man hinter dem C. einen Carl oder Clemens oder Constantin vermutete."

Und tatsächlich, so erinnert sie sich, "sind damals die ersten Briefe, die mit der Bitte um Beiträge von Redaktionen an mich kamen, unter der Anschrift eines Herrn C. Viebig an mich gelangt."

Mehr über Clara Viebig lesen Sie im Wochenendjournal.

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