Weise, aber keineswegs leise

TRIER. Ein Stück Musikgeschichte steht heute Abend am Pult der Trierer Philharmoniker: Siegfried Köhler, 82, an allen großen Opern- und Konzerthäusern der Welt zu Hause, dirigiert Strawinsky, Debussy und Sibelius beim 5. Sinfoniekonzert.

Wann gibt es das schon mal: Der Maestro, der bei Strawinskys "Pulcinella" den Dirigentenstab führt, hat den Komponisten noch persönlich getroffen. Als junger Dirigent in Baden-Baden lernte Siegfried Köhler den großen alten Mann der Moderne kennen. Kein eiserner Taktstock-Führer, wie er sich erinnert: "Meine Herrn: Musik, Musik, Musik" - mit diesen Worten habe Strawinsky sich eingeführt, und dem Orchester viel freien Lauf gelassen. Siegfried Köhler ist eine Art wandelndes Lexikon für Anekdoten aus der klassischen Musikszene. Und er erzählt gern, lässt dabei die lebhaften, listigen Augen blitzen. In seiner 60-jährigen Karriere hat er sie alle kennen gelernt, die großen Dirigenten wie die großen Sänger. Generalmusikdirektor war er in Saarbrücken und Wiesbaden, Königlicher Hofkapellmeister in Schweden ist er immer noch - auch wenn er, wie er sagt, "nur noch sporadisch" in Stockholm auftritt. Auf Tuchfühlung mit allen Großen der Musikwelt

Die letzte "Elektra" in Birgit Nilssons Karriere hat er dirigiert und Fritz Wunderlichs finales Konzert vor dem tragischen Unfalltod. Ungezählte "Ring"-Aufführungen, Begegnungen mit Karajan, Sawallisch und Bruno Walter. Dessen Satz über Sinfonie-Konzerte zitiert er gern: "Wenn der liebe Gott einmal am Abend fünf Minuten durch den Raum geht, das ist schon viel". Erzwingen, sagt Siegfried Köhler, könne man in der klassischen Musik nichts. Erarbeiten allerdings schon. Und so steuert er im unterirdischen Orchestersaal des Trierer Theaters bei der Probe durch die Klangwogen von Sibelius' 1. Sinfonie, sucht Blickkontakte, springt auf, setzt sich wieder, winkt, fuchtelt, kommuniziert. Ein Temperamentsbolzen auch mit 82, ein praller Musik-Macher, kein esoterisch-unterkühlter Magier, dessen Emotionen die Musiker erahnen müssten. Siegfried Köhler ist kein Erbsenzähler. Geht mal ein Ton daneben, ist es kaum einen Kommentar wert. Aber wenn die Linie, das Gefühl nicht stimmt, dann kann er auch unerbittlich sein. "So versteht man das nicht", ruft er, "und wenn man es nicht versteht, ist es langweilig". Er beschwört "die finnische Weite", die man bei Sibelius hören müsse, "aus dem Herzen heraus", wie er gestenreich zeigt. "Ja, jetzt versteht man' s endlich", jubelt er nach dem dritten Anlauf. Wenn man erlebt, was er heraushört, wünscht man sich, er würde die Musik einfach nebenher erzählen beim Konzert. Überhaupt wirkt die Wucht, die Kraft, die Finesse von Sibelius' Sinfonie im Probenraum so überwältigend, dass man erst hier ermessen kann, was im spröden Theatersaal alles verloren geht. Auch dagegen arbeitet Siegfried Köhler an, so erfolgreich, dass sein letztes Trier-Gastspiel vor Jahresfrist im TV als "Sternstunde" eingestuft wurde. Die Verbindung an die Mosel kam über seinen Sohn Klaus-Dieter zustande, der in der Ära Kindermann das Schauspiel leitete. Unvergessen Köhlers "Geburtshilfe" bei den ersten Antikenfestspielen im Jahr 1998, als seine "Elektra" mit Hildegard Behrens, Anja Silja und Franz Grundheber dem Festival einen heute schmerzlich vermissten Glanz verlieh. Auf die Frage, ob er seither ruhiger geworden sei, reagiert er amüsiert. Wohl kaum. Weder am Pult, wo er nach wie vor schwere Konzerte und stundenlange Opern dirigiert. Noch im Zuschauersaal, wo er immer noch von Bayreuth bis Salzburg alle großen Aufführungen besucht. Und schon gar nicht privat, wo sein Sohn ihn und seine Frau im letzten Jahr zu Großeltern gemacht hat, "mit 81", wie er stolz vermerkt. Ein bisschen Botschafter für "seine" Musik ist er immer geblieben. Auch in Trier, wo er das Programm selbst ausgesucht hat. "Schreiben Sie, dass die Leute keine Angst haben müssen vor Strawinsky", wünscht er sich zum Abschluss und wühlt durch das nach wie vor füllige Haar. Heute Abend wird er es einmal mehr beweisen. 5. Sinfoniekonzert, 2. März, 20 Uhr, mit Strawinsky: Pulcinella-Suite nach Pergolesi; Debussy: Zwei Harfen-Tänze (Solistin: Regina Israel); Sibelius: Sinfonie Nr. 1. Es gibt noch Karten.

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