Wenn die Seele schreit und die Absätze knallen

Trier · Rafael Seguras und seine Compania Flamenca haben beim Mosel Musikfestival für mitreißende Momente im Innenhof des Kurfürstlichen Palais gesorgt. Das begeisterte Publikum erlebte beim Open-Air-Konzert im Rahmen des Mosel Musikfestivals eine spanische Nacht voll Feuer und Gefühl.

Trier. Es war vielleicht nicht der feurigste, aber der bewegendste Augenblick des Abends: Ein paar harte aufrührerische Gitarrenakkorde rufen zum Kampf. Dann hebt Rafael Seguras raue Stimme zur sehnsüchtigen Klage an. Ganz tief aus dem Innern bricht sich dieses Wehklagen Bahn, in dem sich das ganze uralte Leid der Zigeuner ausdrückt, ihre endlose Geschichte von Tod, Verfolgung und Heimatlosigkeit.
Der in Zürich lebende Sänger und Percussionist ist ein Vertreter des "Flamenco puro". Den spanischen Exportartikel, die Touristenattraktion aller andalusischen Nächte, will er zurückführen auf ihre Grundsubstanz, ihre Herkunft aus den armen Quartieren der Zigeuner in Selliva, Jerez und Cadiz.
Intime Atmosphäre


Zum Mosel Musikfestival ist der gebürtige Andalusier mit seiner Compania Flamenca gekommen. Zur Truppe gehört auch der eindrucksvolle Gitarrist Juan Ramón Caro. Die Nacht ist warm. Und wenn sie schon nicht ganz mit den andalusischen Temperaturen mithalten kann, so hat sie mit ihnen doch den tiefblauen Himmel gemein. Der intime Innenhof des Kurfürstlichen Palais in Trier und die kleine Bühne darin vermitteln genau jene private Atmospähre der geschlossenen Höfe und "Cafés cantantes", in denen der Flamenco zu Hause ist.
Nicht nur die Stimmen klagen an diesem Abend. Flamenco-Tänzer sprechen mit ihrem ganzen Körper. Feurig, wütend, leidenschaftlich geht es zu. Die Absätze knallen auf den Boden, immer schneller werden die Bewegungen, angefeuert vom rhythmischen Klatschen der restlichen Truppe und dem musikalischen Trommelfeuer der Gitarren.
Herausragender Tänzer


Um sein Leben scheint Iván Alcalá zu tanzen. Der junge Spanier ist der herausragende Tänzer des Abends. Hochexpressiv und vielfältig ist seine Körpersprache. Was in der Musik an Freude, Schrecken und Magie, an Abgründen, Sehnsucht und Verzweiflung steckt, übersetzt er mit jeder Faser seines Körpers in Geste und Bewegung. Wenn er so am ganzen Körper zitternd dasteht, mit langen Haaren und blassem Gesicht, gleicht er einem Besessenen, in den die Musik wie ein Geist gefahren ist.
Launig führt Seguras durchs Programm, das die ganze Vielfalt des Flamencos spiegelt. Lange schon war der Flamenco ein Crossover der Kulturen, bevor es überhaupt den Begriff gab. Nicht nur Trauriges hat diese Kultur zu bieten. Mit der "Alegría", der heiteren Seite des Flamencos, die in der spanischen Stadt Cadiz beheimatet ist, wird es dann mit den drei Tänzerinnen in den mit Rüschen besetzten Röcken kokett, komisch, sogar handfest derb.
Diesen zweiten Teil des Abends hatte Juan Ramón Caro mit einem wunderbar nachdenklichen Gitarrensolo eingeleitet. Trotz feuriger Tänze zeigte sich einmal mehr: die Seele des Flamencos ist der Gesang. Mehr als 400 Gäste waren begeistert.

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