Wenn ihr nicht schauet wie die Kinder...

TRIER. "Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" wird in dieser Saison vom Trierer Theater in zwei Varianten geboten: einmal auf der Bühne und im Mai als Freilichtvorstellung auf dem Domfreihof.

Es hat schon seinen Grund, dass Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" fast nur open air, vorzugsweise vor Domen und Kirchen als Hintergrundkulisse, aufgeführt wird. Da mag die mehr oder weniger eindrucksvolle Architektur ein Memento mori sein, eine Erinnerungsstütze dafür, dass das, was "das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" erzählt, vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit enthält. Immerhin steht die Sache mit der ewigen Verdammnis oder permanenten Glückseligkeit mittlerweile auf ziemlich wackligen Füßen. Wie gut hatte es da doch das Mittelalter, als man mit derlei Geschichten die Menschen noch in Angst und Schrecken versetzen und sich nach Gusto gefügig machen konnte. Im hermetisch abgeschlossenen Kunstraum des Theaters dagegen kann die penetrante Zeigefingerdidaktik eines solchen Moralitätenspiels ziemlich aufgesetzt wirken; da muss der Regisseur schon höllisch aufpassen, will er seine Inszenierung nicht zum Glaubenskitsch bunter Heiligenbildchen gerinnen lassen. In Trier hat sich der Hausherr selbst der Sache angenommen; eine Affäre sozusagen von Wienern unter sich, und Heinz Lukas-Kindermann hat die Klippen, Untiefen und Fallen, die im kunstlosen, altertümelnden Text liegen, weitgehend vermieden beziehungsweise bewusst als ironisierendes Stilelement eingesetzt.Der erste Streich kommt gleich zu Anfang: Da stürmen, kaum dass die Bläsergruppe schauerlich falsch das Präludium - die Musik stammt von Werner Pirchner - intoniert hat (oder waren's gar bewusste Dissonanzen?) drei Kinder auf die schlicht gehaltene Bühne (Manfred Breitenfellner) und krähen begeistert ins Publikum, was diesem gleich geboten wird. Weniger ein Schuldrama als vielmehr ein Vorschuldrama wird hier angekündigt: naseweis, drollig, altklug. Ein geschickter Schachzug, scheint doch implizit die Aufforderung darin zu liegen, das Folgende aus jener kindlich-naiven Perspektive zu betrachten, aus der allein sich der Inhalt in seiner schlichten Frömmigkeit noch ernsthaft vermitteln lässt. Wie verkörpert man heute eine Allegorie, eine unter des Gedankens Blässe leidende Abstraktion? Mittelalterliche Dramenfiguren wissen nichts von psychologischer Durchdringung; dafür sind sie holzschnittartig bis zur Unglaubwürdigkeit typisiert. So ist auch Jedermann angelegt, der sich im Handumdrehen vom Saulus zum Paulus wandelt: gerade noch genusssüchtiger Erdenwurm, gleich darauf geläuterter Gläubiger. Markus Angenvorth spielt ihn, und er entledigt sich seiner Aufgabe recht geschickt; zumindest im ersten Teil nimmt man ihm den jugendlichen Hallodri ohne weiteres ab. Dem lebenslustigen Yuppie ist keine Todsünde fremd, er genießt das Leben mit Wein, Weib und Gesang (dafür sind an diesem Abend aus dem Opernfach Evelyn Czesla und Xavier Moreno zur Tischgesellschaft gestoßen), wobei in dieser Trias das Weib für Jedermann besonders verlockend ist: Nadine Kettler ist eine attraktive Buhlschaft, hoch geschlitzt und tief dekolletiert, ein Schmeichelkätzchen und Schmuseweibchen, das nichts dabei findet, die Tafel noch mal mit dem Geliebten schnell zweckzuentfremden, ehe die Gäste kommen - nahezu das gesamte Schauspielensemble, das sich wacker mit den Hofmanns-thalschen Knittelversen herumschlägt, die mit dem Versfuß bewusst auf Kriegsfuß stehen. Nicht intellektuell ausgefeilt, sondern eben grob geschnitzt.Die Probleme beginnen im zweiten Teil - weniger für Angenvorth, der sich mit erfreulich zurückgenommenem Pathos dem Prozess seiner Wandlung stellt und nach angemessenem Bereuen frohgemut ins Paradies einziehen darf -, sondern vielmehr für den Regisseur. Da droht plötzlich doch Marienkitsch in Gestalt von Ulrike Walthers "Glaube" und Rührseligkeit mit Angelika Schmids "Gute Werke" ins Geschehen zu rutschen, was beileibe nicht die Schuld der Darstellerinnen ist, sondern die der Bilder, die sie vermitteln. Lukas-Kindermann kriegt aber dann doch noch die Kurve, um die klebrige Rührseligkeit aufzufangen: Die das Eingangstor zum Paradies bewachenden Engeln wedeln dem Ankömmling freudig mit den Flügeln entgegen. Wie auch nicht: Jedermann, wie weiland Tannhäuser im härenen Hemd mit Pilgerstab durch die Pforte schreitend, hat zum Glauben und zur Unterwürfigkeit zurückgefunden. So ist's recht.Und noch einen ironischen Akzent setzt Lukas-Kindermann, vielleicht den besten des Abends, wenn er Gott den Herrn und den Teufel vom selben Darsteller verkörpern lässt - quasi die zwei Seiten ein und derselben Münze. Peter Singers Gott ist ein müder Handelsvertreter mit dem Koffer in der Hand, permanent unterwegs, Reisedauer genauso ungewiss wie das Ziel, ein frustrierter Versager, dem seine Schöpfung ziemlich danebengegangen ist. Aber da wir uns im Mittelalter befinden, hat er ja noch Macht über Jedermann und jedermann, und die spielt er nun geradezu trotzig aus. Der Teufel dagegen ist ein zauseliger Hitzkopf, aber wenigstens gewitzt und witzig und noch voll im Saft stehend und von geifender Poltrigkeit. Schurken bieten nun mal doch die dankbareren Rollen. Die nächsten Aufführungen: 9., 12., 15., 25., 26., 29.4., 23. und 245. Domfreihof; Karten: 0651/718-1818.

Publikumsstimmen:

Elisabeth Langen, Trier: "Ich erlebte das Stück als eine schauspielerisch perfekte Leistung mit gelungenen Masken und Kostümen. Spitzenmäßig waren der Teufel und natürlich Jedermann. Ich hatte keine Minute Langeweile." Fotos: Ludwig Hoff

Inge Ginter, Trier:"Das Stück hat mir außerordentlich gut gefallen. Eine ganz große schauspielerische Leistung mit einem großartigen Markus Angenvorth. Aber es haben mir auch einige Nebenrollen gut gefallen. Zu einer runden Sache wurde die Inszenierung durch eine ansprechende Bühnenausstattung und durch die Kostüme."

Franz Wustinger, Kenn: "Eine eindrucksvolle Leistung des gesamten Ensembles. Hervorragend für mich waren der Jedermann, die Buhlschaft, die Mutter und der Tod. Der Einfall der Regie, am Anfang Kinder auftreten zu lassen, war sehr gelungen. Was mir weniger gefallen hat, war die Darstellung der Engelflügel. Darauf hätte man vielleicht verzichten können."

ManfredPhilipp, Koblenz:"Ich bin begeistert von dem Stück, das so gut indiese Zeit vor Ostern passt. Das Stück sollte jeder einmalgesehen haben. Die Kostüme fand ich sehr dezent, das Bühnenbildganz hervorragend, und die Aussprache der Schauspieler war sehr,sehr gut. Man hat jedes Wort verstanden. Ich empfehle das Stückjedem."

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