Wenn Liebe in die Sackgasse und Leben in die Leere führt

Trier · Eine rundherum gelungene Inszenierung ist Sven Grützmacher mit seinem "Eugen Onegin" gelungen. Am Samstag hatte das Stück vor mehr als 600 Besuchern im Theater Trier in russischer Sprache Premiere. Quasi als Vorspiel auf dem Theater bekundeten vorab Gerhard Weber und Victor Puhl ihre Solidarität mit der Aktion "Je suis Charlie" und bekannten sich zur Freiheit der Kunst.

 Vertanes Glück und schmerzhafte Ernüchterung: Joana Caspar als Tatjana und Amadeu Tasca als Onegin. TV-Foto: Friedemann Vetter

Vertanes Glück und schmerzhafte Ernüchterung: Joana Caspar als Tatjana und Amadeu Tasca als Onegin. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Die welken Blätter, die zu Beginn den Bühnenboden bedecken, bevor sie später zusammengefegt werden, führen nicht nur aufs Land zum adeligen Gut der Larins, vor dessen edlem Säulengang Mutter Larina mit ihren Töchtern Tatjana und Olga nebst Amme Filipjewna das Landleben genießen und sich ihre Gedanken über Liebe und Ehe machen. Das welke Laub deutet auch bereits an, wohin die Seelenreise geht.
Falscher Mann am falschen Ort


Flüchtigkeit ist angesagt, vertanes Glück, Ziellosigkeit und schmerzhafte Ernüchterung. Eugen Onegin, der gleich mit seinem Freund Lenski erscheinen wird, ist der falsche Mann am falschen Ort zur falschen Zeit, unbehaust und ziellos im eigenen Leben. Sven Grützmachers "Eugen Onegin" geht mit seiner ruhigen Eindringlichkeit unter die Haut. Für das Theater Trier hat der Regisseur Peter Tschaikowskys gleichnamige Oper inszeniert. Dabei verzichtet er auf jedwede interpretatorische Zwangsjacke. Angesichts so mancher Regieverrenkungen in Sachen Onegin darf das fast schon wieder als avantgardistisch gelten. Zumindest zeugt es vom Vertrauen des Regisseurs ins Werk.
Entstanden ist dabei eine rundum schlüssige, feinsinnige Inszenierung mit Bildern voller Poesie. Grützmachers Werktreue ist schließlich weder hausbacken noch platt. Der Trierer Theatermacher setzt erfolgreich auf die poetische und psychologische Substanz der Oper. Keinen Augenblick verliert diese dichte Inszenierung dabei aus den Augen , dass es hier nicht allein darum geht, eine Geschichte unerledigter Leidenschaft und verpasster Liebe zu erzählen, sondern um ein Kunstwerk, dessen Bilder Sinnbilder sind.
Dafür sorgt schon die hervorragende Lichtregie (Beleuchtung Jürgen Leinen), die nicht allein Seelenstimmung ins rechte Licht setzt. Der Wirklichkeit entrückt, wirken die poetischen Szenen bisweilen wie Bilder des Phantastischen Realismus.
Eine intime Seelenkammer ist Dirk Immichs Drehbühne, in deren Räumen sich Innen und Außen durchdringen und die Akteure in Gera Grafs fantasievollen Kostümen in die Sackgassen der eigenen Gefühlswelt laufen. Als eine der wenigen Veränderungen hat Grützmacher die Handlung an den Beginn des 20. Jahrhunderts verlegt, eine Zeit des Aufbruchs und der Umbrüche. Darin deutet seine sorgfältige Personenführung sensibel das Psychogramm der Tragödie aus.
Amadeu Tasca ist als Onegin ein Heimatloser, dessen geschmeidiger Bariton brutale Ehrlichkeit wie Verzweiflung und düstere Hoffnungslosigkeit hörbar macht. Als Tatjana beeindruckt Joana Caspar. Farbenreich und wandlungsfähig vermittelt ihr Sopran die Entwicklung des jungen Mädchens vom Lande, das ihre Idee von der Welt mit der Welt selbst verwechselt, zur reifen weltgewandten Frau. Wunderbar beseelt rührt Svetislav Stojanovics Tenor als Onegins Dichterfreund Lenski, der in Trier (abweichend vom Original) statt des geckenhaften Triquet Tatjana ein Ständchen bringt. Seine Arie: "Wohin seid ihr entschwunden" ist in ihrer hilflosen Trostlosigkeit einer der bewegendsten Augenblicke des Abends.
Begeisterter Beifall


Kristina Stanek überzeugt als Olga, Tatjanas kokette Schwester und Lenskis Verlobte. Bestens besetzt ist mit Patricia Roach die Rolle der Mutter und mit Iskra Georgieva Bakalova die der Amme. Etwas indisponiert ist Pawel Czekala als Fürst Gremin. Hervorragend singen Opernchor und Extrachor des Theaters.
Victor Puhl dirigiert einfühlsam das Philharmonische Orchester der Stadt Trier mit melodischem Schwung und dynamisch flexibel. Zu Recht bedankt sich das Publikum mit minutenlangem Beifall.
Weitere Aufführungen: 27., 30. Januar, 8. Februar, 8., 13., 25. und 28. März; Karten: 0651/718-1818.

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