Wer die Antwort will, muss lesen

PRÜM. Der Vater des "neuen Werther" kommt in die Eifel. Der Schriftsteller Ulrich Plenzdorf liest im Rahmen des Eifel Literatur Festivals in Prüm.

Unzählige Deutsch-Jahrgänge haben sich die Finger über ihn wund geschrieben. Auch im Sozialkunde-Unterricht hat Ulrich Plenzdorfs Antiheld Edgar Wibeau Saison. Schließlich verkörpert der 17-jährige DDR-Werther für Insider und Fachkritik das Lebensgefühl seiner ganzen jungen DDR-Generation. Wem es von den schulischen Pflichtlesern zuviel wurde, der schickte nicht selten den unterrichtlichen Fragenkatalog kurzerhand zur Beantwortung an Eds geistigen Vater weiter. Doch da war Funkstille. "Ich habe nie eine der Listen beantwortet", sagt Plenzdorf. "Jeder kann sich die Fragen selbst beantworten. Man muss nur lesen, und die Antwort ist da."Ob Rückantwort oder nicht: Bis heute wird der Name des Ost-Berliner Autors mit seinem erfolgreichsten Werk gleichgesetzt. Genau 30 Jahre ist es her, dass das Kultstück in Halle uraufgeführt wurde, aber noch immer denkt, wer den Namen Ulrich Plenzdorf hört, sogleich an "Die neuen Leiden des jungen W". Dabei ist Plenzdorfs Werksverzeichnis inzwischen seitenlang. Bis sie zum Standardwerk der Gegenwartsliteratur wurde, musste die Geschichte von Leben, Lieben und Tod des Metall-Lehrlings einiges durchstehen. In einem Anflug von Tauwetter-Stimmung hatte Erich Honecker, der bekanntlich alles immer gern "gesamtgesellschaftlich" löste, zunächst die Veröffentlichung unterstützt. Später war das auch als Roman erschienene Theaterstück dann doch in Ungnade gefallen.Eds triumphaler Siegeszug über die Bühnen und in die Buchhandlungen beider Deutschlands war dadurch nicht aufzuhalten. Auf der westlichen Seite der einstigen Demarkationslinie waren Plenzdorfs "Neue Leiden" ohnehin gleich willkommen, nicht zuletzt wegen ihrer gesellschaftskritischen Substanz. "Die Meisterschaft des Autors zeigt sich in der Leichtigkeit, mit der er die Komplexe Lie- be-Politik, Einzelner-Gesellschaft miteinander vernäht", schwärmte Rolf Michaelis in der FAZ.Die Erfolge der "neuen Leiden" hat der 1934 in Berlin-Kreuzberg geborene Sohn eines Arbeiters in seinen späteren Theaterstücken und Drehbüchern nie mehr wiederholt, schon gar nicht in seinen bisweilen deftigen Prosatexten. Am ehesten noch in dem Film "Die Legende von Paul und Paula", zu dem er gemeinsam mit Heiner Carow das Drehbuch schrieb und in dem Angelika Domröse die weibliche Hauptrolle spielte. Zu Film und Theater verspürt der gelernte Filmemacher, der nach Schulbesuch und einigen Semestern Philosophie von 1959 bis 1963 an der DDR -Filmhochschule Babelsberg studierte, eine ganz besondere Nähe. Da darf es auch mal Boulevard sein.Auf dem wurde Plenzdorf nach dem Mauerfall als Autor von Fernsehserien wie "Liebling Kreuzberg" auch hierzulande einem breiten Publikum bekannt. Plenzdorfs Fähigkeit, "die Wirklichkeit kritisch zu befragen", hat ihre Wurzeln bereits im Elternhaus. Vater und Mutter waren überzeugte Kommunisten, die sich aktiv am Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft beteiligten. Schon der kleine Junge erlebte, wie der Vater versuchte, die Waffenproduktion zu sabotieren. Wie der Vater scheute auch der Sohn nie, sich mit den Inhabern der Macht anzulegen, ob die nun politischer oder wirtschaftlicher Natur war.Eins und eins ist weiterhin uneins

Die Großbaustelle Deutsche Einheit beobachtete Plenzdorf mit Misstrauen, was nicht allein seine "Geschichten vom Übergang" belegen. 1997 unterzeichnete der Autor mit andern die "Erfurter Erklärung" - ein Linksbündnis von SPD und Bündnis 90/Grüne ohne Ausgrenzung der PDS -, das die Ablösung der Regierung Kohl forderte.In Prüm will Ulrich Plenzdorf aus "Kein runter - kein fern" lesen. Der Monolog eines entwicklungsgestörten Jungen - das Werk wurde 1978 mit dem Ingeborg- Bachmann-Preis ausgezeichnet -, ist Plenzdorfs Reaktion auf die Feiern zum 20-jährigen Bestehen der DDR 1969. Viele Male hätte Plenzdorf ausreisen können. Dennoch: Das heimatliche Ost-Berlin in Richtung Westen zu verlassen, kam nie ernsthaft für ihn in Frage. Bis heute lebt er dort in der Wilhelm-Pieck-Straße, einem Viertel, in dem sich Bodenspekulanten mit Immobilienhändlern treffen und Touristen auf der Suche nach vermeintlicher einstiger Ost-Romantik sind. "Eins und eins" ist für Plenzdorf gesamtdeutsch weiterhin "uneins", wie einer seiner neueren Titel signalisiert.Die Lesung findet am 17. Oktober, 20 Uhr, im Sitzungssaal der VG Prüm statt. Dafür verlost der TV drei mal zwei Eintrittskarten. Beantworten Sie folgende Frage: Wie heißt die Hauptdarstellerin im Film "Die Legende von Paul und Paula"? Heute können Sie bis 24 Uhr unter 0190/151706 anrufen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort