Wer kommt nach der Götterdämmerung?

Die Monarchie wurde in Deutschland zwar nach dem ersten Weltkrieg abgeschafft, aber zumindest ein dynastisch organisiertes Reich hat sich gehalten: Die Wagner-Festspiele in Bayreuth. Nun sieht es so aus, als würde eine späte Urenkelin von Richard Wagner die Regentschaft am Grünen Hügel übernehmen.

Bayreuth. (DiL) Für Uneingeweihte stellt sich in Sachen Wagner-Clan zunächst eine völlig triviale Frage: Wie kann es sein, dass bei einem 1813 geborenen Festspiel-Gründer im Jahr 2007 eine 29-jährige Urenkelin sich anschickt, die Nachfolge anzutreten? Dass knappe 200 Jahre mit gerade mal vier Generationen überbrückt werden konnten, hängt damit zusammen, dass die Herren Wagner in bestem Großvater-Alter noch einmal junge Frauen zu ehelichen pflegten, mit denen sie alsbald Nachwuchs in die Welt setzten. Das sorgte einerseits für ein stetig gesichertes Reservoir an potenziellen familieneigenen Nachfolgern, anderseits aber auch für ein unübersichtliches Knäuel verschiedener dynastischer Zweige. Rein formal regiert in Bayreuth ein Beirat, bei dem der Bund und der Freistaat Bayern die gewichtigste Rolle spielt - sie zahlen ja auch einen erheblichen Teil des repräsentativen Spektakels. Doch als die Politik im Jahr 2001 versuchte, den damals 80-jährigen Festspielchef Wolfgang Wagner nach 50-jähriger Amtszeit sanft ins Abseits zu drängen und durch seine - mit ihm zerstrittene - Tochter aus erster Ehe, Eva Wagner-Pasquier, zu ersetzen, legte sich der alte Herr mächtig quer. Mit dem Gegenvorschlag, seine bis dato nicht durch besondere Intendanten-Kompetenz aufgefallene Ehefrau Gudrun zu berufen, sorgte er für ein Patt - so blieb alles beim alten.Seither wurde Tochter Katharina, damals mit 23 noch zu jung für eine Bewerbung, systematisch für die Nachfolge aufgebaut. Sie durfte sich als Regisseurin in kleineren Häusern profilieren, wo sie - zum Entzücken der Kritiker - recht moderne Inszenierungen realisierte, die sich vom betulichen Stil ihres Vaters deutlich abhoben. Parallel tauchten in Bayreuth plötzlich schräge Ikonen des zeitgenössischen Theaters wie Christoph Schlingensief und Christoph Marthaler auf und durften sich an den heiligsten Werken des Wagner-Repertoires, an "Tristan" und "Parsifal" versuchen. Zum Entsetzen der Traditionalisten, die die Denkmalschändung prompt, wie erhofft, auf den wachsenden Einfluss des Töchterchens zurückführten. Dank des taktischen Kunstgriffs gilt Katharina seither als Bürgerschreck - genau die entscheidende Voraussetzung, um einem Image als Denkmalpflegerin von Papas Gnaden zu entgehen. Seither wird sie ernst genommen, von den Großmeistern des Feuilletons ebenso wie von den politischen Entscheidern. In der Öffentlichkeit gibt sie sich unaufdringlich, aber selbstbewusst und alles andere als profillos. Dass sie mit 29 ernsthaft als Bayreuth-Chefin in Frage kommt, hätte vor drei Jahren niemand für möglich gehalten. Entschieden ist die Nachfolge-Frage freilich noch nicht. Da ist immer noch Eva Wagner-Pasquier, die 2001 vom Stiftungsrat schon gewählt war und derzeit Festspiele in Frankreich organisiert. Und Cousine Nike Wagner, die das Kunstfest Weimar leitet. Die Damen sind sich in den letzten Jahren aus dem Weg gegangen. Ausgerechnet Provokateur Schlingensief hat nun vorgeschlagen, die Girl-Group könne sich doch als Wagner-Trio den Job teilen. Oder, wie das enfant terrible in seiner ureigenen Art formulierte: "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, das wird doch auch bei Wagners gelten". Ob es wirklich so kommt? Katharina Wagner lässt die Frage im Interview offen. Aber da ist ja auch noch der inzwischen 87-jährige Grandseigneur, den manche schon wieder voreilig in der Vergreisung wähnen. Ohne ihn wird auch diesmal nichts entschieden.

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