"Wer nicht denken will, fliegt raus"

Wittlich · Prominentes und Aufschlussreiches bietet die sehr sehenswerte Sammlung Friedhelm (Friedel) Drautzburgs im Alten Rathaus in Wittlich. Zudem gewährt sie tiefe Einblicke in ein engagiertes Sammlerleben.

Wittlich. Honoré Daumier hat ihn augenzwinkernd verewigt: Zufrieden sitzt der Sammler in seinem Sessel und betrachtet genüsslich seine Schätze. Wer dieser Tage ins erste Bilderkabinett der Sammlung Friedel Drautzburgs im Erdgeschoss des Alten Rathauses in Wittlich eintritt, fühlt sich gleich an das Bild des Franzosen erinnert. Ein opulentes Sofa im Gründerzeit Rokoko lädt neben Omas gusseisernem Ofen ein, sich gemütlich in der Bilderflut niederzulassen.
Ob der Eigentümer der in Wittlich ausgestellten Werke zuweilen selbst hier Platz nimmt, ist nicht bekannt. Was die plüschige Idylle auf jeden Fall vergegenwärtigt, ist jene Privatheit, die ganz entschieden die Sammlung Drautzburgs bestimmt. Sie darf überdies als Signal verstanden werden, darüber nachzudenken, was private Kunstsammlungen nach guter alter Tradition ausmacht. Eben nicht Gewinnerwartung im Sinne von Spekulationsobjekten, sondern die Seelenverwandtschaft, sogar eine gewisse Komplizenschaft zwischen Kunstwerk und Sammler.Angehäufte Schätze


Sammler sind Menschen, die bei sich haben wollen, was sie begeistert, woran sie hängen, was sie für bedeutsam oder nur erinnerungswürdig halten. Nicht selten sind sie allein in der Lage, in ihre, über die Jahre angehäuften Schätze zielführende Stollen zu graben. Ein solcher Sammler ist wohl auch Friedel Drautzburg. Über Jahrzehnte hat der gebürtige Wittlicher, studierte Jurist und bundesweit bekannte Eigentümer des Berliner Lokals "Ständige Vertretung", mit unermüdlicher Begeisterung für die Kunst eine riesige Sammlung aus Malerei, Grafik und Bildhauerei zusammengetragen. Der Ausschnitt im Wittlicher Alten Rathaus erhellt gleichermaßen die Persönlichkeit des Sammlers, wie er auch ein Stück Zeit- und Kunstgeschichte spiegelt.
Von einem anderen prominenten Sammler, dem Münchner Eduard Fuchs, wurde einmal gesagt, seine Sammlung sei aus revolutionärem Geist entstanden. Das gilt gewiss auch für Friedel Drautzburg. Ein aufmüpfiger politischer Mensch war der Staeck-Freund zeitlebens und die Zeit, in der er sammelte, schließlich stürmisch genug. Die 68er Unruhen fallen ebenso hinein wie der Vietnam Krieg und der Fall der Berliner Mauer sowie ein neues Kunstverständnis, das die alten akademischen Tugenden längst hinter sich gelassen hatte. All das findet sich in der Ausstellung wieder. Ebenso wie die Zeugnisse eines Kunstbegriffes, nach dem sich Kunst einmischen und an der gesellschaftlichen Gestaltung mitwirken soll.
In intime Bilderkabinette ist die Schau gegliedert, in denen man sich gut zurechtfindet. Gleich eingangs unten begegnet einem der Sammler mit Bildern, die ihm gewidmet sind, wie ein Porträt von Armin Müller-Stahl, eine aquarellierte Landschaft von Günter Grass oder Tony Munzlingers vorwitzige Serie über den Stolz des Mannes. Im Obergeschoss verzerrt Victor Bonatos Spiegel den Betrachter, bevor er sich im ersten Raum mit Rolf Vostells gesellschaftskritischen Grafiken auseinandersetzen kann. Bitterböse und doch herrlich vergnüglich anzusehen sind nebenan Klaus Staecks politische Siebdrucke. Dem Schöpfer des erweiterten Kunstbegriffs und der sozialen Plastik ist der nächste Raum gewidmet. Mit Hut, Spazierstöcken und wie immer ein wenig hohlwangig, schaut Joseph Beuys aus seinem Porträt. "Wer nicht denken will, fliegt raus" warnt eine seiner Arbeiten. Recht hat er, denkt der Besucher, bevor er sich mit Günther Uecker und der Ästhetik des Nagels beschäftigt. Der letzte Raum berichtet von Mauerfall, Wende und Perestroika. Von der Stirnwand blickt nachdenklich Michail Gorbatschow. Um die Ecke hat Wolf Leo den "Reisstempel der DDR Volkspartei" ebenso wie die Kalaschnikow ins Kunstgedächtnis überführt. Eine spannende und anrührende Sammlung.
Bis 31. Januar 2015, Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 11 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags 14 bis 17 Uhr, Führungen freitags um 17.30 Uhr; Telefon: 06571/14660, www.wittlich.de

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