Wie ein dunkler, schwerer Traum

Trier · Dem Trierer Theater gelingt eine eindringliche Umdeutung von Mozarts "Idomeneo".

 Die Trierer „Idomeneo“-Inszenierung – eine der besten Musiktheaterproduktionen in den letzten Jahren. Foto: Theater

Die Trierer „Idomeneo“-Inszenierung – eine der besten Musiktheaterproduktionen in den letzten Jahren. Foto: Theater

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Welch ein Werk! Welch eine Interpretation! Mozarts "Idomeneo" ist nicht Einstieg, nicht Probestück und erst recht nicht Versuch, sondern von Anfang an großes Musikdrama - noch entschiedener, noch ambitionierter vielleicht als die sechs Opern des Komponisten danach. Und als wolle das Trierer Theater seine fast 250 Jahre lange Ignoranz ausgleichen, stellt es jetzt eine Produktion dieser Oper auf die Bühne, die den Atem verschlägt. Dirigent Wouter Padberg hat die letzten Spuren des unseligen, galant-verzärtelten Mozart-Klischees getilgt. Aus dem Graben kommt ein "historisch informierter", ein rhythmisch geschärfter Klang mit energischen Akzenten bei Hörnern und Trompeten. Da verbinden sich Orchester und Gesang zu einem Musikdrama von archaischer Unerbittlichkeit.
Im heißen Atem dieser Musik verlieren sich die Opern-Konventionen. Die Gattungen verschmelzen, Rezitative und Arien gehen bruchlos ineinander über. Es gibt keine Ruhepunkte mehr, keinen Moment des Aufatmens, des Entspannens, des unverstellten Glücklichseins.
Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic hat die Handlung dieser Oper mutig umgedeutet. Sie hat Distanz bezogen zur glättenden und versöhnlichen Tendenz im Text des "Idomeneo" und ging damit ein hohes Risiko ein. Aber nach einer Durststrecke der beiden ersten Szenen zeigt sich: Ihre Version leuchtet ein, und mehr noch: Sie offenbart, was die Texte allenfalls indirekt sagen wollen.
Im schlichten Einheitsbühnenbild (Ausstattung Jule Saworski) findet ein obskures Spiel der Kostüme und Masken statt, ein tragischer Karneval, der im Auftritt des Chors mit Totenköpfen seinen makabren Höhepunkt erreicht.
Diese Regie enthüllt die erbitterten Machtkämpfe hinter den scheinbar menschenfreundlichen Gesten: Die Auseinandersetzungen zwischen der trojanischen Königstocher Ilia und ihrer Rivalin Elektra, zwischen dem Kriegsheimkehrer Idomeneo und seinem Sohn Idamante, dem amtierenden Herrscher auf Kreta. Es sind Auseinandersetzungen bis aufs Blut. Zu Mozarts Ballettmusik spielen sich keine Tänze ab, sondern bedrohliche Massenauftritte. Alle persönlichen Verbindungen sind vergiftet. Menschliche Nähe degeneriert zur reinen Formalie. Im musikalisch wunderbaren Quartett (Neue Mozart-Ausgabe, Nr. 21) stellt die Regie die Akteure bewusst beziehungslos zueinander auf die Bühne. Selbst der zunächst zurückhaltende Berater Arbace setzt nach seiner Arie im dritten Akt (Nr. 22) die Maske des Oberpriesters auf und macht mit im mörderischen Spiel. Es ist ein schmutziger Krieg - blutig, intrigant, brutal, rücksichtslos, verlogen, mit einer Erotik, die zur Machtdemonstration pervertiert, und am Ende mit abgründiger Tragik. Die erreicht ihren Höhepunkt, wenn Idomeneo seinen Sohn, dessen Geliebte und das gesamte Gefolge mit der Maschinenpistole erledigt - kein theatralischer Knalleffekt, sondern ein erschreckender, terroristischer Akt. Da fügt sich auch die Verzweiflungsarie der Elektra (Anhang, Nr. 29), die stets als dramaturgischer Problemfall galt, bruchlos ein in den neuen Handlungsrahmen.
Das Trierer Sängerensemble übertraf sich selbst. Welch wunderbarer Mozart-Gesang: Bonko Karadjovs männlich-markanter und doch flexibler Idomeneo, Eva Maria Amans herrlich ausgesungene Elektra, Fritz Spenglers üppiger und mit der Zeit immer sorgfältiger artikulierender Idamante, James Elliotts hell-lyrischer Arbace, die würdige Götterstimme von László Lukács. Auch Frauke Burg, bei der die anspruchsvolle Partie der Ilia noch etwas zu früh kommt, enthüllte in ihrer zweiten Arie (Nr. 11) ein ungemein reizvolles, silbriges Eigentimbre.
Und dann der Chor! Angela Händel hat die Hausbesetzung deutlich verstärkt und stellt eine Formation auf die Bühne, die alle Dramatik klangstark nachzeichnet. Und doch finden Sängerinnen und Sänger auch den rechten Tonfall für die scheinhafte Lyrik des Abschieds von Idamante (Nr. 15), ein Abschied, der in eine Katastrophe ausläuft. Wer es nicht wusste, erfährt es jetzt: "Idomeneo" ist eine echte Chor-Oper.
Am Ende hat Idomeneo den Sohn und dessen Geliebte verloren und Elektra Idamante, den Mann, den sie begehrt. Alle Menschlichkeit ist dahin. Der König triumphiert einsam über Leichen. Er herrscht über ein totes Land. Wenn sich im Trierer Theater nach dem anhaltenden Schlussbeifall der eiserne Vorhang senkt, dann ist es, als erwache man aus einem dunklen, schweren Traum. Und erkennt mit Erschrecken, dass dieser Traum vielfach in der Welt grausige Wirklichkeit ist.
Ein Publikumserfolg war die Premiere indes nicht. Trotz öffentlicher Plakatwerbung kamen allenfalls rund 500 Gäste. Bis zum Saisonende stehen noch sieben Vorstellungen an. Wer da nicht hingeht, hat eine der besten Musiktheaterproduktionen in den letzten Jahren verpasst.
Weitere Vorstellungen am 10., 20., 23., 25. Juni sowie am 2., 6. und 9. Juli.

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