Wie ein Puzzle ohne Auflösung

TRIER. Die künstlerische Aufarbeitung der Hexenprozesse ist ein Balanceakt zwischen nüchterner Darstellung und dramatischer Überhöhung. Rita Voltmers und Joachim Reidenbachs "Der Richter muss brennen" am Sonntag in St. Maximin beeindruckt in zahlreichen Einzelheiten. Eine schlüssige Dramaturgie fehlt indes.

Der Beginn versprach ein packendes Drama. Im Dunkel der Basilika St. Maximin setzt das Orchester zum Vorspiel an. Und dann erscheint in der Apsis der ehemaligen Abteikirche in hellgelber Beleuchtung ein Kruzifix. Ein Symbol? Ein Gegenstand kritischer Distanz? Ein Objekt religiöser Identifikation?Stärken und Schwächen schon im ersten Stück

Schon im ersten Stück werden die Stärken der zwölf Szenen von Rita Voltmer (Text) und Joachim Reidenbach (Musik) deutlich - und die Schwächen gleichfalls. Die Autorin hat nicht dramatisiert, sondern dokumentiert. Sie erzählt die Geschichte des Trierer Richters Dietrich Flade, der vor genau 416 Jahren als Hexenmeister verbrannt wurde, aktengetreu oder in sorgfältiger Rekonstruktion, und verteilt sie auf elf Rollen. Joachim Reidenbach hat dazu eine anspielungsreiche Musik geschrieben - verfremdete Renaissance-Versatzstücke, moderne Polyphonie, ein sparsamer und doch klingender Instrumentalsatz, mit dem Cembalo (Josef Still) als Symbol historischer Erinnerung und kühler Distanzierung und den Pauken (Ekkehard Zeyer) als düster-dramatischem Grundton. Aber trotz aller Meriten: Text wie Musik fehlt die dramatische Linie. Dabei setzte das Trierer Max-Tuch-Theater mit farbenreicher Beleuchtung (Bernhard Hoffmann), unauffällig-treffsicherer Kostümierung (Elke Kretzer), sorgfältiger Regie (Birgit Hoffmann) und engagierter Darstellung alles daran, dem Geschehen Prägnanz zu verleihen. Erzählerin Frauke Stoeter vermeidet den angestrengten, "hohen" Tonfall, gibt damit allerdings auch gelegentlich die Wortverständlichkeit preis. Als Ankläger und Angeklagte bewähren sich Boris Kühl, Martin Schraufstetter und Simone Busch. Und Frank Jaeger gelingt es, den Niedergang des Dietrich Flade plastisch nachzuzeichnen. Trotzdem bleibt das Geschehen merkwürdig eindimensional. Nicht ohne Grund kommen Hörspiel-Assoziationen auf. Dabei ist Joachim Reidenbachs Komposition für eine Theatermusik prädestiniert. Sie bringt jenes Verfremdende, Distanzierte ein, mit dem sie kommentierend aus der Handlung heraustreten, eine andere Ebene beziehen und von dort aus neue Perspektiven entwickeln könnte. Und mit den Interpreten, Vokalensemble und Basilikaorchester St. Paulin (Konzertmeisterin: Hanna Notte) und nicht zuletzt dem Dirigenten Reidenbach stehen Musiker von überragender Professionalität und bemerkenswertem Engagement auf der Bühne. Aber der Zuordnung fehlt die Präzision. Selbst wenn die Musik sich kommentierender Texte bedient wie "Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet", steht sie meist unscharf und beziehungsarm neben der Handlung.Ein Hexentanz, schrill, obskur, elegant

Der "Hexentanz" im zweiten Teil, ein Glanzstück schrill-obskurer Eleganz, fügt sich nur höchst vage ein in die Szenen von Geständnis und Denunziation des gefolterten Flade. Und die gregorianische Sequenz "Dies Irae", so wunderschön sie von der Choralschola auch gesungen wurde, war keine zwingende Ergänzung, sondern nur eine undeutlich-emotionale Zutat. Das gilt sogar für direkte Bezugnahmen wie das im chorischen Sprechgesang wiedergegebene Leumundszeugnis des Dr. Flade. Trotz beachtlicher und zum großen Teil hervorragender künstlerischer Details erinnert "Der Richter muss brennen" an ein Puzzle ohne Anleitung. Die Einzelteile bestechen mit Originalität, Schönheit und Kompetenz, aber die Auflösung fehlt, der Schlüssel zu einem einheitlichen Bild. So bedachten die knapp 1000 Besucher Autorin, Komponist und die Ausführenden zwar mit herzlichem, warmem Applaus. Aber neben der künstlerischen Anerkennung wurde am Ausgang auch Ratlosigkeit laut.

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