Wie sich eine Inszenierung selbst demontiert: Schlüssige Konzeption, missglückte Realisierung: "Fidelio"-Projekt im Trierer Theater

Trier · Beethovens "Fidelio" gehört zu den Problemstücken des Musiktheaters. Regisseur Tilman Knabe versucht es in seiner Trierer Neuinszenierung mit spektakulären Details und scheitert am Ende an seiner eigenen Realisierung.

Wie sich eine Inszenierung selbst demontiert: Schlüssige Konzeption, missglückte Realisierung: "Fidelio"-Projekt im Trierer Theater
Foto: Vincenzo Laera
Wie sich eine Inszenierung selbst demontiert: Schlüssige Konzeption, missglückte Realisierung: "Fidelio"-Projekt im Trierer Theater
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Es ist doch immer wieder schön, wenn bei einer Vorstellung wenigstens zeitweise der Schmerz nachlässt. In den ersten Nummern des Trierer "Fidelio" hatte man die singenden Akteure vom Akkordeon begleiten lassen und sie entsprechend deutlich auf sich gestellt - mit einem wackligen und dünnen Resultat. Aber wenn im Duett Leonore/Marzelline aus der Frühfassung eine kleine Instrumentalbesetzung und in der folgenden Nummer das volle Orchester einsteigen, dann ist das Grund zum Aufatmen: Nach 30 Minuten mal endlich eine volle Harmonie!

Leider war auch das nur eine Episode in einer Inszenierung, die alles tat, um sich selber zu demontieren. So eklatant hat sich im Trierer Theater noch keine Regie selber ein Bein gestellt.

Regisseur Tilman Knabe hat ja recht: Beethovens "Fidelio" - egal ob in der Frühfassung von 1805 oder der späteren von 1814 - inhomogen und auch widersprüchliche in ihrem leicht angestrengtem Freiheitpathos, ihrer biedermeierlicher Bürgerlichkeit, ihrem harmlosem Lustspielton und dann wieder ihrer beklemmend düsteren Intensität. Und, ja: Es ist geboten, dieses zeitgebundene Stück weiterzudenken, es in die Gegenwart zu übertragen, die Zuschauer in ihrer aktuellen Lebenssituation damit zu berühren. Es ist schlüssig, mit dem afrikanischen Zwei-Personenstück "The Big Shoot" von Koffi Kwahulé eine Verhörsituation zu rekonstruieren, die übertragbar ist auf das Verhältnis von Pizarro und seinen Gefangenen Florestan im "Fidelio". Es ist nur konsequent, wenn die Inszenierung Musik aus dem 20. Jahrhundert integriert. Und dass die Gattenliebe, die Beethovens Oper am Ende preist, einige Sprünge bekommen hat und besser nicht lautstark beschworen werden sollte - wer wollte das bestreiten?

Knabe geht allerdings noch einige Schritte weiter und verheddert sich dabei im eigenen Konzept. Das Bühnenbild von Wilfried Buchholz stellt vorne eine Urinal-Reihe hin, an dem sich die männlichen Akteure erleichtern dürfen. Gelegentlich lassen manche zudem den (künstlichen?) Penis heraushängen und markieren Selbstbefriedigung. Es strotzt vor ziemlich unmotivierter Gewalt. An den Wänden verteilt sich Theaterblut. Und enden darf das Stück natürlich nicht versöhnlich, sondern mit verstörenden Knalleffekten. Alles ist laut, sexualisiert, gewaltsam, irritierend und dabei wenig erhellend. So überzeugend die Grundkonzeption sein mag - diese Realisierung bringt uns Beethoven auch in seiner Problematik keinen Millimeter näher. Bei der fatalen Gleichzeitigkeit von brutalem Realismus und tragikomischem Aktionismus schleicht sich zudem ein Hang zum Zynischen ein. Der passt am wenigsten zum Stück und auch am wenigsten zur Inszenierung. Kein Wunder, dass nach circa 20 Minuten ungefähr zwei Dutzend das Theater unter Protest verließen.

Dabei geht es in dieser Produktion gar nicht so sehr um guten oder schlechten Geschmack, sondern um innere Schlüssigkeit und um Sorgfalt gegenüber den Akteuren. Und da hapert es an allen Ecken. Das Zwei-Personen-Stück zu Beginn - übrigens von Claudio Gatzke und Christian Beppo Peters glänzend gespielt - hätte im Kontext von Oper und Inszenierung dringend den Rotstift gebraucht; so schaltet man irgendwann ermüdet ab. Wenn sich Leonore mit Marzelline in der Dusche vergnügt und sich auch vor Jaquino (Bonka Karadjov) als Frau outet, kann sie danach nicht mehr als Fidelio auftreten. Dass der Pizarro von Christian Sist im Zuschauerraum mehrfach das Tempo falsch aufnimmt, hat nicht nur mit seinen gestemmten Höhen zu tun, sondern auch mit fehlendem Kontakt zum Dirigenten. Marlin Millers klanglich eindimensionalem Florestan hätte eine sängerfreundlichere Position bestimmt nicht geschadet. Und in der Kerkerszene wird ganz deutlich: Bea Robein (Leonore) und Lukas Schmid (Rocco) gewinnen deutlich an sängerischer Präsenz, wenn sie beim Paletten-Schleppen eine Pause einlegen. Frauke Burg wird als Marzelline von der Regie so über die Bühne gehetzt, dass ihre Stimme vom Atem geht. Nur Tobias Scharfenberger darf als Don Fernando den Lautsprecher benutzen und bleibt von der Regie unbehelligt. Generell singt man laut, aber nicht immer sauber und dazu reichlich neutral. Möglich, dass auf die sängerische Vorbereitung zu wenig Zeit verwandt wurde. Nur Bea Robein liefert ihr Einstiegs-Rezitativ sprachlich und musikalisch perfekt ab, hat allerdings im Fortissimo-Umfeld der Ensembles leichte Höhenprobleme. Und Angela Händels Opernchor ist, wie immer, voll auf dem Posten.

Schließlich war auch die Auswahl der Nummern einigermaßen willkürlich. Die fehlende Ouvertüre - nun gut. Aber musste ausgerechnet das kostbare Quartett im ersten Akt entfallen?

Auch das Orchester wird von den Inszenierungs-Wirren betroffen, vor allem Dirigent Victor Puhl. Auch bei ihm schleicht sich ein Element des Neutralen, sogar des leicht Überhasteten ein. Farbe und Tiefe fehlen, und damit bleibt das beklemmende Vorspiel zu Florestans Kerker-Rezitativ blass und ausdrucksarm. Auch da tun sich Defizite auf. Unnötige Defizite! Was um alles in der Welt hat Knabe davon abgehalten, Beethovens problematische und in gewisser Weise fragmentarische Oper sachlich, aber sensibel, gradlinig, frei von szenischem Ballast und inszenierter Selbstdarstellung auf die Bühne zu bringen? So steht hinter dieser Produktion ein großes Fragezeichen.

Und doch: Wenn sich die Konzeption einmal gegen die Realisierung durchsetzt, dann gelingen Momente großer Energie. Karl Amadeus Hartmanns Klaviersonate mit Ketevan Rukchadze am Instrument war ein solcher Moment. Und, fast gegen Ende, Frauke Burg! Ganz allein und ganz frei vom Unfug auf der Bühne zuvor, gibt sie der Hiroshima-Musik von Luigi Nono ihre Stimme - rund, warm und endlich einmal auf dem Atem. Da verbindet sich die Sopran-Aura des Unberührtseins mit stärkstem, intensivstem Ausdruck. Ein großer Augenblick. Wenn es nur mehr davon gegeben hätte!

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