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Es ist selten, dass ein Berliner Autor ein Buch schreibt, das an der Mosel spielt. Und wenn, dann ist das Bild, das dort gezeichnet wird, meist das, was man von Postkarten kennt: schöne Weinberge, schöne Dörfchen, schöne Burgen.

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Foto: (g_kultur

Ganz anders bei "Was kostet die Welt". Veröffentlicht wurde es bereits im Jahr 2010 - die Zustände, die die Geschichte beschreibt, haben sich seitdem allerdings kaum geändert. Autor Nagel, der eigentlich Thorsten Nagel schmitt heißt, lässt seinen Protagonisten Meise, der eigentlich Tobias Meissner heißt, im Moseltal eine Odyssee des Grauens durchleben. Ausgangspunkt ist Renderich, ein fiktiver Ort irgendwo zwischen Bernkastel-Kues und Wittlich. Hier will Meise den letzten Tausender ausgeben, der vom Erbe seines Vaters geblieben ist. Den Rest der 15 000 Euro hat er auf Reisen ausgegeben. Denn anders als sein Vater, der Fliesenleger, der in Meises Augen ein erbärmliches Leben geführt hat, will Nagels Hauptfigur das Geld so schnell wie möglich verprassen. Doch kaum ist er wieder in Berlin, findet er nicht mehr in sein altes Leben zurück. Da kommt Meise die Einladung des Winzers Flo wieder in den Sinn, den er in New York kennengelernt hat. Kurzerhand entschließt er sich dazu, ihm in Renderich einen Besuch abzustatten. Dort wird Meise mit allem konfrontiert, was er aus tiefstem Herzen ablehnt: heile Familien, feste Arbeit, Volksfeste, Vereinsmeierei. Und auch er trifft die Provinz wie eine Abrissbirne und bringt die bürgerliche Fassade zum Bröckeln. In "Was kostet die Welt" geht es vor allem um die großen Fragen: "Wer will ich sein" und vor allem "Wie will ich nicht sein". Nagel erzählt die Geschichte mit Witz, aber auch mit kompromissloser Ehrlichkeit, die manchmal wehtut - gerade wenn man selbst aus der Provinz stammt. Als Abrechnung mit dem Moseltal möchte der gebürtige Münsteraner sein Buch dennoch nicht verstanden wissen. Ihm gefalle es hier nämlich eigentlich ganz gut, schreibt er in seinem Nachfolgebuch "Drive By Shots": "Diese Erkenntnis allein hätte aber leider noch kein Buch gefüllt." Zumindest kein gutes.Christian Altmayer Nagel: Was kostet die Welt, Heyne Hardcore, 320 Seiten, 8,99 Euro.

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