Ausstellung Mit poetischer Kraft gegen die Ungerechtigkeit

Luxemburg · William Kentridge ist einer der bedeutendsten Künstler dieser Zeit. Im Werk des Südafrikaners verbinden sich nicht nur unterschiedliche Kunstsparten. Es ist auch ein politischer Weckruf gegen Ungleichheit und soziale Ungerechtigkeit. Derzeit widmet das Mudam in Luxemburg dem Künstler eine großartige Ausstellung mit neueren Arbeiten.

 Standbild aus dem Video zum Film „More Sweetly Play the Dance“, Video Editing and Construction: Janus Fouché. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von William Kentridge.

Standbild aus dem Video zum Film „More Sweetly Play the Dance“, Video Editing and Construction: Janus Fouché. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von William Kentridge.

Foto: William Kentridge/Foto : Video Still zum Film “More Sweetly Play the Dance”, VidJanus Fouché, Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von William Kentridge

Schon der Einstieg ist grandios. Riesige Megaphone beschallen die Grand Hall des Mudam in Luxemburg. Gegenüber bedecken die  gezeichneten  verzweigten Arme eines mächtigen Baums die Wand. Als stimmgewaltiger Prolog führt die Klanginstallation „Almost don`t tremble“  hinauf in die Ausstellung der oberen Etage mit neuen und neueren Werken von William Kentridge.

„More Sweetly Play the Dance“ heißt die Schau nach dem Titel der berühmten hier gezeigten Videoinstallation  des 1955 in Johannesburg geborenen Künstlers, der auch heute dort lebt. Der Titel verweist auf eine Zeile der bekannten „Todesfuge“ von Paul Celan. „Spielt süßer den Tod“, heißt es dort. Kentridges Aufforderung, den „Tanz süßer zu spielen“, mag man als künstlerisches Programm wie als politischen Weckruf lesen. Seit langem setzt sich der Apartheidsgegner kritisch mit der soziopolitischen Realität und Geschichte seines Landes auseinander. In seinem Werk  thematisiert er Macht und Ohnmacht, Elend  und Ungerechtigkeit, Kolonialismus und Postkolonialismus, Flucht und Vertreibung. Sie alle sind tief verwurzelt im kollektiven Gedächtnis Südafrikas und als Teil seiner Geschichte der Beleg einer unentrinnbaren fortschreitenden Zeit.

Das politische Interesse, die Bereitschaft zum Widerstand wurden dem studierten Politologen und Afrikanisten gleichsam in die Wiege gelegt. Als weiße Menschenrechtsanwälte und erklärte Gegner des Apartheid-Regimes engagierten sich seine Eltern im Kampf gegen  das Unrecht der Rassentrennung. Sein Vater Sir Sidney Kentridge war Verteidiger in zahlreichen Prozessen gegen schwarze Oppositionelle und Anwalt von Nelson Mandela. Sein Sohn William beließ es im eigenen gesellschaftskritischen Engagement nicht bei der politischen Wissenschaft. In Johannesburg absolvierte er anschließend ein Kunststudium. Es folgte ein Studium an der internationalen Theater-Schule Ecole Jacques Lecoq in Paris. All das findet Eingang in das Werk des vielseitigen Multi Media und Cross-
over-Künstlers, der als Zeichner, Bildhauer, Bühnenbildner, Filmemacher und Regisseur tätig ist.

 William Kentridge setzt bei seiner engagierten Arbeit nicht auf nüchternen Realismus oder Dokumentation, sondern auf die weitaus ambivalenteren Wahrheiten der Poesie und  der künstlerischen Chiffrierung. Bei aller thematischen Brisanz ist es die ungeheure poetische Kraft, die Kentridges Werk so faszinierend und  einzigartig macht. So ist auch das titelgebende Video ein klanggewaltiges, überwältigendes Spektakel, gleichermaßen Totentanz wie Prozession und Zug der Zeit.

Wie Angehörige eines entrückten Schattenreichs ziehen Kentridges gezeichnete schwarze Gestalten vorüber. Einheimische in traditionellen Gewändern, die ihre Toten mitziehen, uniformierte Blaskapellen, Fahnenschwenker, Skelette, Aidskranke am Tropf, Priester, Schamanen, Tänzer und Frauen mit Gewehren folgen einander in diesem skurrilen Umzug. Ihm verleiht die afrikanische Begleitmusik widerständige Vitalität. Klang, Zeichnung und Bewegung sind zentrale Elemente im Schaffen des Künstlers. Unverkennbar sind die Verweise auf Vorbilder wie den Spanier Francisco de Goya und den französischen Karikaturisten Honoré Daumier.

Im Mittelpunkt von Kentridges Schaffen steht die Kohlezeichnung. Aus einer Vielzahl solcher kleiner Zeichnungen setzt er seine Filme zusammen. Die Bilder selbst hält er in Bewegung, indem er radiert, löscht und überlagert. „Alles verändert sich, nichts stirbt“ (Ovid). Es ist das Prinzip der Metamorphose, die Einsicht, dass nur lebensfähig gehalten werden kann, was zur Veränderung bereit ist, das sich im Werk des Südafrikaners darstellt.

Dass Kentridge ein hochgebildeter Künstler ist, dessen Werk die Symbiose zwischen europäischer kunst-und geistesgeschichtlicher Tradition und einheimischer afrikanischer Kultur schafft, ist einmal mehr eindrücklich in den gezeigten Videos und Installationen zu erleben. Reine Lyrik aus Klang, Sprache, virtuoser Zeichnung und fulminantem Tanz ist das als Film inszenierte Libretto der Oper „Waiting for the Sibyl“.  Das gemeinsame Auftragswerk des Teatro  dell`Opera de Rome, der Théâtres del la Ville de Luxembourg und des Dramaten in Stockholm,  dessen Musik die afrikanischen Musiker Nhlanhla Mahlangu and Kyle Sheperd komponierten,  konnte der Pandemie wegen bislang nicht auf die Bühne gebracht werden.

Ergänzt wird die Ausstellung durch weitere Filme und Skulpturen, in denen die Formensprache der Zeichnungen verräumlicht wird. Die zahlreichen Zeichnungen geben zudem Einblick in den Arbeitsprozess des Künstlers. Empfehlung: Unbedingt hingehen!.

Die Ausstellung läuft bis 30. August. Geöffnet ist sie montags und donnerstags bis sonntags sowie feiertags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs von 10 bis 21 Uhr. Weitere Informationen unter Telefon 00352/453785-1 oder www.mudam.lu

Meistgelesen
Neueste Artikel
Blöde Technik
Vinyl der Woche: Seasons in the Sun – Terry Jacks Blöde Technik
Zum Thema
Aus dem Ressort